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Bei Beschwerden gegen vsao-Mitglieder wegen Verstössen gegen die ärztlichen Standesregeln ist die Schlichtungsstelle zuständig. Bei Anzeigen wegen standeswidrigen Verhalten ist hingegen die Standeskommission zuständig.

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Fragen und Antworten

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Im Arbeitsvertrag hat es ein Konkurrenzverbot. Dieses sieht vor, dass ich a) keine Patientinnen und Patienten während meiner Anstellung abwerben und b) nach Beendigung der Anstellung keine Praxis im Umkreis von 20 Kilometern Distanz zur ehemaligen Praxis eröffnen darf. Bei Zuwiderhandlung müsste ich eine Strafe von CHF 30 000.– bezahlen. Dies ist für mich wie ein Berufsverbot. Soll ich dies unterzeichnen?

Konkurrenzverbot:

a) während der Anstellung
Klar ist grundsätzlich, dass es eine Treuepflichtverletzung darstellt, wenn Sie während eines Anstellungsverhältnisses Patientinnen und Patienten abwerben. Dieses Vorgehen darf mit einer Konventionalstrafe im Sinne einer Disziplinarmass-nahme sanktioniert werden. Die Strafe muss jedoch verhältnismässig sein und darf keinen Ersatz für einen allfälligen Schaden, der durch die Abwerbung entsteht, darstellen. Ob die in ihrem Fall angesetzte Konventionalstrafe von
CHF 30 000.– verhältnismässig ist, hängt unter anderem von Ihrem Salär ab. Ich würde Ihnen aber empfehlen, einen solchen Passus streichen zu lassen, da er für Sie wesentliche Risiken birgt, denn in einem Prozess müssten Sie beweisen, dass Sie nicht abgeworben haben, falls eine Patientin zu Ihnen wechselt.

b) nachvertragliches Konkurrenzverbot
Vertraglich kann eine Konkurrenzierung innert bestimmten Schranken auch für die Zeit nach Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden. Das Konkurrenzverbot verlangt eine schriftliche Regelung im Arbeitsvertrag. Die Vertragsklausel soll sich über die Dauer, den geografischen Umfang und den Gegenstand äussern. Üblich ist eine Länge von ca. 6 Monaten. Die dreijährige Maximalfrist dürfte nur in seltenen Fällen zulässig sein. Die verbotene Tätigkeit darf sich so weit ausdehnen, als die intensiven Geschäftsbeziehungen der alten Arbeitgeberin und der Wirkungsbereich des Arbeitnehmers reichten (vorliegend ist grundsätzlich das Einzugsgebiet der Praxis massgebend). Zudem muss festgelegt werden, auf welche Tätigkeit sich das Konkurrenzverbot bezieht. Also beispielsweise auf eine kardiologische oder auf eine gynäkologische Praxis. Ist das Konkurrenzverbot in den genannten Bereichen übermässig, kann es der Richter auf das erlaubte Mass reduzieren.

Im Allgemeinen gibt es keine Berufsart, bei der ein Konkurrenzverbot generell unzulässig wäre. Der Arztberuf ist ein sogenannt freier Beruf und deshalb ist ein Konkurrenzverbot gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung nicht statthaft. Massgebend sind jedoch stets die Umstände des konkreten Arbeitsverhältnisses. Man geht in der Recht-sprechung davon aus, dass die Patienten eine spezielle Vertrauensbeziehung zu ihrer Ärztin oder ihrem Arzt haben und man deshalb als Arzt oder Ärztin gar nicht unter das Konkurrenzverbot fallen kann. Um alle Missverständnisse auszuräumen, empfehle ich Ihnen, die Konkurrenzverbotsklausel vor Vertragsunterzeichnung streichen zu lassen.

Claudia von Wartburg, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin beider vsao-Sektionen Basel, «vsao Journal» 3/2021

 

Im Spital X wurde mir eine Stelle als Assistenzärztin angeboten. Ich habe mündlich zugesagt. Jetzt habe ich ein noch besseres Angebot erhalten mit mehr Weiterbildungsmöglichkeiten und einem höheren Lohn. Ich möchte das zweite Stellenangebot gerne annehmen. Kann ich von der ersten Zusage zurücktreten?
Was gilt es zu beachten?

Mit Ihrer mündlichen Zusage ist ein gültiger Arbeitsvertrag entstanden, sofern Sie sich mit dem Arbeitgeber auf die wesentlichen Vertragspunkte geeinigt haben. Die Elemente eines Arbeitsvertrags sind: Zurverfügungstellung von Arbeitszeit, Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und ein Anspruch auf Lohn. Besteht über diese Punkte Einigkeit, ist ein gültiger Arbeitsvertrag entstanden. Der Vertrag muss nicht in schriftlicher Form abgeschlossen sein.

Sie können von einem rechtsverbindlichen Arbeitsvertrag nicht einfach zurücktreten. Es gilt der Grundsatz «pacta sunt servanda» (lat.; dt.: Verträge sind einzuhalten). Der Arbeitsvertrag kann durch Kündigung oder im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst werden.

Im Fall der Kündigung gelangen die gesetzlichen bzw. die vereinbarten Kündigungsfristen zur Anwendung. Wenn Sie dem Arbeitgeber Ihre Kündigung noch vor Stellenantritt mitteilen, wirkt diese erst vom ersten vereinbarten Arbeitstag an. In der Regel besteht eine Probezeit mit kürzeren, gegenseitigen Kündigungsfristen. Gemäss Obligationenrecht (OR) gilt der erste Monat eines Arbeitsverhältnisses als Probezeit mit einer Kündigungsfrist von sieben Tagen. Abweichende Vereinbarungen sind zulässig. Ebenso ist auch ein Verzicht auf eine Probezeit zulässig. In diesem Fall gelten die ordentlichen Kündigungsfristen. Im ersten Dienstjahr gilt eine gesetzliche Kündigungsfrist von einem Monat. Abweichungen sind möglich.

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, während dieser Kündigungsfrist die Arbeitsleistung zu erbringen. Da es jedoch häufig nicht im Interesse des Arbeitgebers sein dürfte, dass das Arbeitsverhältnis kurz nach Stellenantritt bereits wieder beendet wird, ist er meist mit dessen gegenseitiger Auflösung einverstanden. Erfolgt diese noch vor Stellenantritt, muss Letzterer gar nicht erst erfolgen.

Ist der Arbeitgeber jedoch nicht mit der Auflösung des gültigen Arbeitsvertrags einverstanden und hält daran fest, muss die Stelle angetreten werden. Falls Sie das nicht tun, weil Sie beispielsweise bereits eine andere Stelle angenommen haben, wird dies rechtlich wie eine fristlose Kündigung ohne wichtigen Grund durch die Arbeitnehmerin behandelt. Ein besseres Stellenangebot gilt dabei nicht als wichtiger Grund, welcher den Nichtantritt der Arbeitsstelle rechtfertigen würde. Die Folge ist, dass Sie schadenersatzpflichtig werden. Der Arbeitgeber ist innert 30 Tagen berechtigt, durch Klage oder Betreibung eine Entschädigung von einem Viertel des vereinbarten Monatslohns geltend zu machen. Darüber hinaus kann weiterer Schadenersatz gefordert werden, sofern dieser tatsächlich entstanden ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sie den Arbeitgeber unverzüglich über Ihre Absichten informieren müssen. Zu Beweiszwecken am besten schriftlich. Eine Vertragsauflösung im gegenseitigen Einvernehmen ist dringend anzustreben.

Wenn Sie dazu Fragen oder Zweifel haben, ob überhaupt ein gültiger Arbeitsvertrag eingegangen wurde, zögern Sie nicht, sich rechtzeitig mit Ihrer vsao-Sektion in Verbindung zu setzen. Auf diese Weise lassen sich Umtriebe und erhebliche finanzielle Folgen vermeiden.

Samuel Nadig, Sektionsjurist und Geschäftsführer vsao-Sektion Graubünden, «vsao Journal» 1/2018

Gesamtarbeitsverträge und Arbeitsgesetz

Es besteht häufig Unklarheit über die rechtliche Tragweite von Gesamtarbeitsverträgen (nachstehend GAV) und derjenigen des Arbeitsgesetzes und seiner Verordnungen. Es ist daher wichtig, diese zu definieren und deren Hauptunterschiede zu erläutern.

  1. Gesamtarbeitsvertrag (GAV)
    Der GAV ist ein Vertrag zwischen einem oder mehreren Arbeitgeberverbänden und/oder einem oder mehreren Arbeitgebern einerseits und einem oder mehreren Arbeitnehmerverbänden andererseits. Dieser Vertrag regelt ihre Beziehungen und die individuellen Arbeitsverträge, die von ihren Mitgliedern (oder von ihnen selbst, wenn es sich um einzelne Arbeitgeber handelt) abgeschlossen werden. Der GAV regelt die Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Branche und der Berufe. In der Regel räumen sie gegenüber dem Obligationenrecht, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusätzliche Rechte ein, insbesondere indem sie Mindestlöhne und eine Begrenzung der Arbeitszeit vorsehen. Der Geltungsbereich eines GAV ist beschränkt und im GAV definiert. Ein GAV kann beispielsweise nur auf Assistenzärztinnen und Oberärztinnen und -ärzte anwendbar sein. Die anderen Berufe sind also davon ausgenommen.
  2. Arbeitsgesetz und Verordnungen
    Das Arbeitsgesetz, das Teil des öffentlichen Bundesrechts ist, hat zum Ziel, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen, die mit dem Arbeitsplatz verbunden sind, zu schützen. Einerseits enthält es Vorschriften über den allgemeinen Gesundheitsschutz, anderseits Vorschriften über Arbeits­ und Ruhezeiten. Es bildet somit die Grundlage für den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz. Grundsätzlich ist das Arbeitsgesetz auf alle privaten Unternehmen anwendbar, mit Ausnahme der öffentlichen Verwaltung. Es gibt aber eine Reihe von Ausnahmen. Die Ärzte in Weiterbildung unterstehen seit 2005 den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes, einschliesslich derjenigen, die in öffentlichen Spitälern arbeiten.

Fünf Verordnungen ergänzen das Arbeitsgesetz. ArGV 1 und 2 beinhalten insbesondere Bestimmungen für die Ärzte in Weiterbildung und die Arbeit im Spital.

Die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes und seiner Verordnungen sind zwingend. Das bedeutet, dass Abweichungen zuungunsten der Arbeitnehmer nicht erlaubt sind, auch wenn die Vertrags­ oder GAV-Parteien diesen zustimmen. Falls eine abweichende Vereinbarung abgeschlossen wird, ist diese rechtlich unwirksam und niemand wird sich im Streitfall darauf berufen können.

  1. Situation im Spital betreffend die Ärzte in Weiterbildung
    Da ein GAV eine Zusammenfassung der Regeln des Arbeitsgesetzes enthalten kann, muss zwischen der Zusammenfassung der bundesrechtlichen Bestimmungen und den Inhalten, die die Sozialpartner verhandeln können, unterschieden werden. Dazu gehören beispielsweise:

Verbindliche Vorschriften des Arbeitsgesetzes

  • Schutz der schwangeren Frauen und stillenden Mütter
  • Überzeit (Stunden > 50 Stunden)
  • Ruhezeit
  • Anzahl freie Sonntage pro Monat
  • Definition des Pikettdienstes

Regeln, die Gegenstand von Verhandlungen sein können

  • Lohn
  • Arbeitszeit (< 50 Stunden)
  • Bezahlung der Aus- oder Weiterbildung
  • Definition der Funktionen

Es ist sehr wichtig, diese Unterschiede zu kennen, um sinnlose Diskussionen über Probleme, die vom vsao nicht beeinflusst werden können, zu vermeiden.

Patrick Mangold, Sektionsjurist der vsao-Sektionen Jura und Waadt, «vsao Journal» 3/2022

 

Teilzeitverträge: Risiko einer indirekten Diskriminierung von Mann und Frau

Arbeitsverhältnisse dürfen keine Diskriminierung zwischen Frau und Mann beinhalten. Dies wird durch das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann ausdrücklich verboten (siehe Art. 3 GIG).

Davon betroffen ist nicht nur die direkte Diskriminierung (die bereits aus einer schlichten Gegenüberstellung evident wird), sondern auch die «indirekte», d. h. jene nachteiligen Umstände, in denen Frau und Mann scheinbar gleich behandelt werden, die Frau jedoch deutlich häufiger der Diskriminierung ausgesetzt ist.

Diese indirekte Diskriminierung finden wir beispielsweise ganz konkret bei Arbeitsverträgen mit jährlicher, dienstjahrebasierter Gehaltsanpassung, wenn der betroffenen Mitarbeiterin ein Umstieg auf Teilzeit angeboten wird. Häufig erfolgen die Anpassungen nicht jährlich auf der Grundlage der prozentual geleisteten Arbeitszeit, sondern vielmehr auf der Basis der absolvierten Dienstjahre,
d. h., im Falle einer Halbtagsbeschäftigten (50 Prozent) wird diese Anpassung (nur) alle zwei Jahre vorgenommen. Die Konsequenzen sind evident und zeitigen erhebliche wirtschaftliche Nachteile.

Die Praxis – sie ist in den Arbeitsverträgen häufig nicht klar geregelt – scheint hier ihre eigene Logik zu entwickeln: Jährliche Anpassungen «belohnen» die gesammelte Berufserfahrung, so dass der zu 50 Prozent Beschäftigte für die gleiche Erfahrung doppelt so viel Zeit benötigt wie der Vollzeitbeschäftigte.

Nun ist es aber eine Tatsache, dass durch diese Praxis ein potenzieller Lohn- bzw. Gehaltsanstieg weniger wahrscheinlich wird, ohne entsprechenden Nachweis dafür, dass Teilzeitbeschäftigung zu einer geringeren gleichwertigen Berufserfahrung führt. Fakt ist ausserdem, dass diese Benachteiligung vor allem Frauen trifft, die häufiger (hauptsächlich aus familiären Gründen) in Teilzeit arbeiten.

Auch das Bundesgericht hat sich mit dieser Frage befasst und festgestellt, dass eine indirekte Diskriminierung dann gegeben ist, wenn die Anwendung formell neutraler Regelungen tatsächlich Ergebnisse zeitigt, die – ohne triftigen Grund – für Angehörige des einen Geschlechts signifikant negativer sind als für Angehörige des anderen. Dies – so das Hohe Gericht – gilt insbesondere für den Fall, dass Kriterien wie Dienstalter oder Berufserfahrung eine zu starke Bedeutung beigemessen wird, wodurch jene Frauen benachteiligt werden, die ihre berufliche Laufbahn unterbrechen/verlangsamen, um sich der Erziehung ihrer Kinder zu widmen (siehe BGE 142 II 49, Erwägung 6.1; BGE 124 II 409, Erwägung 9d).

Konfrontiert mit einer konkreten Situation, bestätigte die Delegierte des Tessiner Staatsrats im April 2021 unter Bezugnahme auf das vorgenannte BG-Urteil, dass bei der Berechnung der Gehaltsanpassungen für teilzeitbeschäftigte Krankenhausmitarbeitende eine indirekte Diskriminierung gegeben war, wenn besagte Anpassungen den Arbeitsanteil zu stark berücksichtigten.

Lorenza Pedrazzini Ghisla und Luigi Pedrazzini, Rechtsanwälte der vsao-Sektion Tessin, «vsao Journal» 2/2022

Ich arbeite seit ungefähr sechs Monaten im Spital mit einer 50-Stunden-Woche. Ich erfasse regelmässig meine Stunden (Startzeit, Endzeit, Pausen) mit der dafür vom Spital zur Verfügung gestellten Software. Vergangenen Monat habe ich 30 Überstunden gemacht. Nach Abschluss des Monats habe ich jedoch festgestellt, dass nur 10 Stunden in diesem Monat verbucht worden waren und mein Überstundensaldo «nur» 70 Stunden zählte (anstatt 90). Meine Vorgesetzten haben mich über diese Reduktion nicht informiert. Erst als ich die von mir ausgefüllte Abrechnung mit derjenigen verglichen habe, die ich nach Abschluss des Monats erhalten habe, ist mir diese Differenz aufgefallen.

Wenn es die Umstände erfordern, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, Überstunden im Interesse des Arbeitgebers zu leisten. Er muss dies insbesondere tun, wenn es sein Arbeitgeber von ihm verlangt.

Überstunden können auch auf Initiative des Arbeitnehmers geleistet werden, d.h. ohne dass es der Arbeitgeber ausdrücklich verlangt. Wenn der Arbeitgeber weiss, dass Überstunden geleistet werden, und er diese nicht ablehnt, kann der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass sein Arbeitgeber diese genehmigt, genauso wie wenn er diese selber angeordnet hätte. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Stunden notwendig sind oder nicht. Hat der Arbeitgeber hingegen keine Kenntnis von den geleisteten Überstunden, muss der Arbeitnehmer dies unverzüglich melden, damit der Arbeitgeber organisatorische Massnahmen treffen kann, um in Zukunft weitere Überstunden zu vermeiden oder zu genehmigen. Ohne Meldung durch den Arbeitnehmer können diese nicht berücksichtigt werden. Wenn der Arbeitgeber die gemeldeten Überstunden beanstandet, stellt sich die Frage der Notwendigkeit dieser Überstunden, d.h. ob diese für das reibungslose Funktionieren des Betriebs unerlässlich waren oder im offensichtlichen Interesse des Betriebs geleistet wurden.

Zu beachten ist auch, dass es im Streitfall dem Arbeitnehmer obliegt zu belegen, dass die geleisteten Stunden diese Bedingungen erfüllen. Zusätzlich muss er auch einen Beleg für die Anzahl geleisteter Überstunden erbringen.

Was passiert nun mit meinen Überstunden?

In Ihrem Fall ist zu klären, ob das Spital die von Ihnen geleisteten Stunden abgelehnt hat. Da Sie Ihre Arbeitsstunden regelmässig mit der zur Verfügung gestellten Software erfassen, musste dem Spital bekannt sein, dass Sie Überstunden leisteten. Es stellt sich also die Frage, ob Ihre Stunden bewilligt wurden und, falls dies nicht der Fall ist, ob diese notwendig waren.

Dabei müssen Sie zwischen den Stunden, die in den ersten sechs Monaten, und denjenigen, die im vergangenen Monat geleistet wurden, unterscheiden. Während der ersten sechs Monate Ihrer Tätigkeit konnten Sie nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass das Spital angesichts seiner fehlenden Reaktion Ihre Stunden genehmigte. Ihre Stunden müssen daher kompensiert werden, sei es mit Zeit oder Geld, unabhängig von der Frage, ob sie notwendig waren.

Für die Stunden, die Sie im vergangenen Monat geleistet haben, können Sie nicht mehr nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass das Spital diese genehmigte, da Sie festgestellt haben, dass Ihre Überstunden anlässlich des Abschlusses nicht vollständig verbucht worden sind (10 Stunden anstelle von 30). Andererseits hätte das Spital sich vehement wehren sollen, wenn es der Ansicht war, dass diese 20 Stunden nicht nötig waren.

Zudem hätte es organisatorische Massnahmen treffen müssen, um weitere Überstunden zu vermeiden. Ihre Vorgesetzten haben Ihnen jedoch nichts mitgeteilt, und Sie müssen nach wie vor so viele Überstunden leisten. Ich empfehle Ihnen deshalb, dies direkt mit Ihren Vorgesetzten und der Personalabteilung zu besprechen.

Ich habe aber für die ersten sechs Monate keine Kopie der jeweiligen Abrechnungen aufbewahrt. Ich weiss daher nicht mehr, wie viele Überstunden ich geleistet habe und auch nicht, ob das Spital Überstunden gestrichen hat.

Da es ein Informatiktool für die Zeiterfassung gibt, können Sie diese Abrechnungen nachträglich verlangen. Mit der Software muss jede Erfassung und jede Änderung nachvollziehbar sein. Sie können daher die Abrechnung vor und nach deren Validierung vergleichen. Wie bereits erwähnt, muss Ihre Stundenabrechnung berücksichtigt werden (und nicht nur die 60 Stunden, die das Spital während der ersten sechs Monate abgerechnet hat).

Zusammengefasst kann man also sagen, dass es unabhängig vom konkreten Fall sehr hilfreich sein kann, «Printscreens» oder Fotos Ihrer Stundenabrechnungen zu machen, bevor Sie diese zwecks Abrechnung übermitteln. Falls Sie dann in den Abrechnungen Differenzen feststellen, besprechen Sie diese direkt mit Ihren Vorgesetzten und der Personalabteilung.

Joël Vuilleumier, Rechtsanwalt und Jurist der vsao-Sektion Neuenburg, «vsao Journal» 6/2022

 

Weil die Spitäler zur Gewährleistung der Kapazitäten für Coronapatientinnen und -patienten über einen gewissen Zeitraum hinweg gehalten waren, elektive Eingriffe zu verschieben, sind bei vielen Ärztinnen und Ärzten Minusstunden angefallen. Ist es korrekt, wenn solche Minusstunden im System verbleiben und einfach argumentiert wird, der Bestand von Minusstunden hätte keine Auswirkung auf die Dienstplanung und diese würden bei Austritten nicht berücksichtigt?

Nein. Denn ein solches System bedeutet, dass jede neu geleistete Überstunde bereits als durch eine vorhandene Minusstunde kompensiert gilt. D.h., auf Mehrarbeit würde keine Erholung durch Kompensation folgen. Es bedeutet auch, dass das Risiko, während der Coronapandemie keine Leistung erbringen zu können, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwälzt wird, obwohl anerkannt werden muss, dass ein Fall von Arbeitgeberverzug nach Art. 324 OR vorliegt. Von einem solchen ist auszugehen, wenn die Arbeit von den Mitarbeitenden zwar angeboten, diese von Seiten Arbeitgeber aber nicht angenommen wird. Also: Wenn schlicht nicht gearbeitet werden kann. 

Selbstverständlich kann der Arbeitgeber argumentieren, dass er den Arbeitgeberverzug nicht zu verantworten hat. Und unbestritten: Es ist die Pandemie, welche das Runterfahren des Betriebes erzwungen hat. Aber dafür trägt mit Sicherheit nicht die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter die Verantwortung. Die Anordnung kam vom Bund. Dieser sieht dort, wo Betriebe ihre Tätigkeit einstellen oder herunterfahren mussten, die Möglichkeit der Kurzarbeitsentschädigung vor. Damit wird das Risiko «Lohnfortzahlungspflicht trotz fehlender Arbeitsleistung» aufgefangen. Während Privatspitäler Kurzarbeitsent-schädigungen erhalten haben, gilt dies für Spitäler mit öffentlicher Trägerschaft nicht. Warum? Weil das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO davon ausgeht, dass öffentlich-rechtliche Unternehmen kein eigentliches Betriebsrisiko eingehen. Mit anderen Worten: Hinter diesen Unternehmen steht der Staat, die öffentliche Hand. In diesem Sinne hat auch die öffentliche Hand das Risiko der Lohnfortzahlungspflicht zu tragen und kann es nicht durch das Generieren von Minusstunden auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwälzen.

Bettina Surber, Rechtsanwältin vsao-Sektion St. Gallen/Appenzell, «vsao Journal» 5/2021

 

Muss ich die während der Covid-19-Phase entstandenen Minusstunden nacharbeiten? Was passiert, wenn ich zu Beginn der Pandemie Überstunden hatte?

Zu Beginn der Covid-19-Phase dominierte in der Rechtsberatung der Respekt vor drohenden Überstunden. Rasch hat sich gezeigt, dass aufgrund des Lockdowns und der damit verbundenen Auflage, keine elektiven Eingriffe mehr durchzuführen, und der zumindest in der Deutschschweiz flachen Welle zahlreiche Minusstunden anfallen, für die eine Lösung gefunden werden muss.

Zudem war gestützt auf die Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) in denjenigen Abteilungen, die aufgrund von Covid-19 eine massive Zunahme der Arbeit erfahren hatten, vom 16. März 2020 bis 31. Mai 2020 das Arbeitsgesetz betreffend Arbeits- und Ruhezeiten ausser Kraft gesetzt. Diese Änderung ermöglichte insbesondere einen Zweischichtbetrieb und das Arbeiten in Teams, was aber zwangsläufig eine Unterplanung zur Folge hatte und zusätzliche Minusstunden generierte.

Die Folgen der Covid-bedingten Minusstunden dürfen nicht auf das Personal überwälzt werden. Gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung handelt es sich um einen klassischen Fall des Annahmeverzugs des Arbeitgebers (Art. 324 OR), wenn die Arbeit an-geboten wurde und die Arbeitgeberin keine Arbeit zuweisen konnte. Unter diesen Umständen ist der volle Lohn geschuldet und die Saldierung der Minusstunden ist die einzige korrekte Lösung – das unternehmerische Risiko darf auch während einer Pandemie nicht auf das Personal überwälzt werden.

Es stellt sich häufig die Frage, was dies für die Mitarbeitenden bedeutet, deren Zeitsaldo zu Beginn der Pandemie positiv war. Die Kompensation von Überstunden ist nur im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer möglich (Art. 321c Abs. 2 OR). Entsprechend kann die Arbeitgeberin grundsätzlich nicht einfach anordnen, Überstunden zu kompensieren, wenn eine Betriebsstörung auftritt. Aus Art. 321 OR ergibt sich aber die Pflicht des Arbeitnehmers, in guten Treuen bei der Kompensation von Überstunden mitzuwirken, wenn über-wiegende Interessen der Arbeitgeberin dies erfordern und keine gewichtigen Interessen des Arbeitnehmers dagegensprechen. In aller Regel wird es dem Arbeitnehmer zumutbar sein, Überstunden zu kompensieren, wenn nun der Betrieb wegen der Pandemie schliesst oder die Arbeit reduzieren muss. Der Arbeitnehmer ist dann auch verpflichtet, der Kompensation zuzustimmen.

Der vsao hat gemeinsam mit H+ und dem SBK für die betroffenen Betriebe und deren Mitglieder ein Merkblatt zum konkreten Vor-gehen insbesondere in Bezug auf die Minusstunden erarbeitet. Die Sektionen sind bestrebt, im Rahmen der bestehenden Sozial-partnerschaften faire Lösungen gestützt auf diese Grundlage zu finden. Dafür sind die Sektionen auf Informationen von Ihnen ange-wiesen. Und sind folglich dankbar, wenn Sie sich melden, sollte es an Ihrem Arbeitsplatz nicht korrekt ablaufen und eine Intervention der lokalen vsao-Sektion notwendig werden oder wenn Sie andere Rechtsfragen haben.

Janine Junker, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin vsao-Sektion Bern, «vsao Journal» 5/2020

Ein Assistenzarzt ist ein paar Tage vor dem Ende eines befristeten Arbeitsvertrages mit dem Spital X verunfallt und kann die Arbeit beim neuen Arbeitgeber, Spital Y, erst 20 Tage später als geplant antreten. Welche Folgen hat das? Welcher Arbeitgeber muss Lohnfortzahlungen leisten? Hat dies Einfluss auf den Arbeitsvertrag mit dem Spital Y?

Der Unfall ereignete sich während der Anstellung beim Spital X. Entsprechend muss die Unfallversicherung des Arbeitgebers X den Fall anerkennen und Taggelder ausrichten. Die Taggelder sind auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus geschuldet. Die Arbeitsunfähigkeit und die Folgen davon sind bei dem neuen Arbeitgeber nicht versichert, weil das auslösende Ereignis vor Stellenantritt stattfand.

Der Arbeitgeber Y hat den Assistenzarzt nach dessen Mitteilung bezüglich seiner Arbeitsunfähigkeit aufgefordert, einen neuen Arbeitsvertrag mit späterem Beginn zu unterzeichnen. Dies ist nicht nötig, aber während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist keine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber Y geschuldet. Zudem wird eine allfällige Probezeit um die Dauer der effektiven Verkürzung verlängert, weil ansonsten der Zweck der Probezeit nicht erfüllt werden kann. Es besteht bei länger dauernden Abwesenheiten zudem die Gefahr, dass das Arbeitsverhältnis noch während der Probezeit aufgelöst wird, da man keinen Sperrfristenschutz aufgrund von Krankheit, Unfall oder Mutterschaft hat.

Nicht zu vernachlässigen sind bei Vertragsanpassungen und Abwesenheiten auch die Regelungen zur Anrechnung der Weiterbildungsperiode gestützt auf Art. 31 der Weiterbildungsordnung. Das dazugehörige Merkblatt des SIWF hilft, bei der Frage den Überblick zu behalten. Als Faustregel gilt, dass unverschuldete Absenzen von bis zu acht Wochen pro Jahr nicht nachgeholt werden müssen und die Weiterbildungsperiode voll angerechnet wird.

Diese Konstellation macht deutlich, dass die befristeten Verträge bei Arbeitsunfähigkeiten Risiken bieten, deren man sich bewusst sein muss. Zudem lohnt es sich bei Pausen zwischen zwei Arbeits-stellen die Versicherungssituation genau anzuschauen. Die Unfallversicherung gewährleistet eine Nachdeckung von 30 Tagen, anschliessend kann für eine Dauer von bis zu 180 Tagen eine Abrede-versicherung abgeschlossen werden, bevor das Unfallrisiko bei der Krankenkasse eingeschlossen werden muss. Die Krankentaggeldversicherung hingegen gewährleistet keine Nachdeckung, und es gibt nur die Option des Übertritts in die Einzelversicherung.

Janine Junker, Geschäftsführerin und Juristin der vsao-Sektion Bern, «vsao Journal» 5/2022

 

Ich möchte mich in einer Praxis als Ärztin anstellen lassen. Die Praxis bietet mir einen Vertrag an, laut dem der gesamte Lohn umsatzabhängig ist. Mein Bruttolohn soll 45 Prozent des von mir persönlich erarbeiteten Umsatzes aus medizinischer Leistung sein, wobei die medizinische Leistung den Tarmed-Gesamtbetrag pro Leistung beinhaltet (AL und TL). Ist dies zulässig? 

Das Bundesgericht erachtet grundsätzlich einen Lohn, der nur auf Provisionsbasis basiert, d.h. bei dem Sie wie bei Ihnen 45 Prozent des Umsatzes als Lohn erhalten, als zulässig. Allerdings muss dieser Umsatz so gross sein, dass Sie ein angemessenes Entgelt erzielen können. Das heisst, mit den 45 Prozent Umsatzbeteiligung müssen Sie einen Lohn erzielen können, der Ihrer Ausbildung, Ihrer Erfahrung und der Branchenüblichkeit entspricht. Damit es später nicht zu unangenehmen Überraschungen kommt, ist es deshalb wichtig, dass Sie vor Vertragsunterzeichnung Einblick in die bisherigen Umsätze der Praxis erhalten, um abschätzen zu können, ob Sie tatsächlich einen angemessenen Verdienst erzielen können. Von Bedeutung ist auch, dass zusätzlich vertraglich geregelt wird, was Sie im Falle von Krankheit erhalten, damit man später darüber nicht streiten muss. Üblich ist eine Entschädigung, die dem Durchschnitt des Verdienstes vor der Arbeitsverhinderung aufgrund von Krankheit entspricht, wobei die sicherste Variante eine Krankentaggeldversicherung ist, bei der ein klar definierter Lohn versichert ist.

Claudia von Wartburg, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin beider vsao-Sektionen Basel, «vsao Journal» 3/2021

 

Ich bin für zehn Tage in Quarantäne, nachdem ich letzten Freitag einen Freund getroffen habe, der am Wochenende positiv auf COVID-19 getestet worden ist. Am Mittwoch habe ich erste Symptome gespürt und mich testen lassen: Ich bin auch positiv. Ich muss mich deshalb in Isolation begeben. Habe ich trotzdem Anrecht auf meinen Lohn? Wer wird diesen bezahlen?

Sind Sie als Arbeitnehmer aus Gründen, die in Ihrer Person liegen, wie Krankheit, an der Arbeitsleistung verhindert, sieht Art. 324a OR für den Arbeitgeber eine Lohnfortzahlungspflicht während einer bestimmten Dauer und unter bestimmten Bedingungen vor.

In der Praxis schliesst der Arbeitgeber in der Regel eine Lohnausfallversicherung ab, die die Lohnzahlung zu 80 Prozent abdeckt. Die vom Versicherer ausbezahlten Taggelder befreien den Arbeitgeber von der Lohnzahlungspflicht. In diesen Verträgen kann eine Wartefrist vorgesehen sein. Für die Krankheitsfälle von kurzer Dauer bezahlt der Arbeitgeber damit den Lohn während dieser Zeit. Er kann diesen zu 80 Prozent bezahlen. Eine Karenzfrist von ein bis drei Tagen ohne Lohn ist dabei zulässig.

Manchmal sieht der Vertrag die volle Lohnzahlung im Krankheitsfall vor. In diesem Fall muss also der Arbeitgeber die Differenz zum Betrag, der von der Versicherung bezahlt wird, übernehmen. Die öffentliche Hand kennt andere Bestimmungen, da das OR dort nicht gilt. Die staatlichen Personalgesetze sehen in der Regel die volle Lohnfortzahlung vor. Betreffend Coronavirus gelten alle positiv getesteten Personen als krank, auch wenn sie keine Symptome aufweisen. Sie kommen damit in den Genuss dieser Bestimmungen und werden gemäss Vertrag oder Gesetz bezahlt, das im Zweifelsfalle zu konsultieren ist. Die Quarantänesituation ist anders, da die Person nicht krank ist, sondern aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu Hause bleiben muss, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.

Das neue COVID-19-Gesetz sieht im Falle des Coronavirus ein Recht auf eine Erwerbsersatzentschädigung für alle Personen vor, die sich in Quarantäne befinden und kein Homeoffice leisten können. Dies sowohl für Angestellte als auch für Selbständigerwerbende, die bei der AHV versichert sind. Damit dies gilt, muss die Quarantäne behördlich, von einer kantonalen Stelle oder einem Arzt, angeordnet worden sein. Eine Warnung auf der SwissCovid-App genügt nicht. Das Recht auf die Erwerbsausfallentschädigung beginnt ab dem ersten Tag der Quarantäne und dauert maximal zehn Tage. Sie ist auch garantiert für ein Elternteil, dessen Kind in Quarantäne ist. Die Entschädigung wird von den AHV-Ausgleichskassen entrichtet. Die Entschädigung beträgt 80 Prozent des durchschnittlichen AHV-Einkommens vor Anspruchsbeginn, für die Angestellten jedoch höchstens 196 Franken pro Tag.

In Ihrem Fall ist das Anrecht auf Erwerbsausfallentschädigung für die ersten Quarantänetage gegeben. Hingegen entfällt der Anspruch auf die Erwerbsausfallentschädigung ab dem Zeitpunkt Ihres positiven Testresultats und den Beginn Ihrer Isolation. Dann gilt Ihr Fall ausschliesslich als Krankheitsfall. Da die Entschädigung über den Arbeitgeber bezahlt wird, muss der Angestellte nichts unternehmen, um seinen Lohn zu erhalten. Er wird lediglich ein Arztzeugnis oder Quarantänezeugnis vorlegen müssen. Es ist trotzdem hilfreich, über diese Regeln informiert zu sein, um eine allfällige Lohnreduktion zu verstehen und deren Gültigkeit zu prüfen. Der selbständige Arzt wird das Gesuch direkt bei seiner Ausgleichskasse einreichen müssen, um die Erwerbsausfallentschädigung beziehen zu können. Diese wird aufgrund des Jahreseinkommens berechnet, das in einen Tagesverdienst umgerechnet wird, der letztmals für die Berechnung seiner AHV-Beiträge verwendet wurde.

Es sind also verschiedene Mechanismen und Stellen involviert, um den Lohnausfall während der Pandemie teilweise auszugleichen. Die Bestimmungen des Arbeitsrechtes dienen dazu, die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen, während die durch die Massnahmen und das COVID-19-Gesetz eingeführten Ergänzungen den Zweck haben, die Lasten, die der Arbeitgeber oder der Selbständigerwerbende zu tragen hat, zu reduzieren.

Véronique Aeby, Rechtsanwältin vsao-Sektion Fribourg, «vsao Journal» 2/2021

 

Ich arbeite als Assistenzarzt mit einem Beschäftigungsgrad von 80 Prozent. Gemäss meinem Vertrag habe ich Anspruch auf eine jährliche Lohnerhöhung. Nach 12 Monaten Tätigkeit habe ich bei meinem Arbeitgeber um eine Lohnerhöhung gebeten. Komischerweise wurde mir diese verweigert mit der Begründung, dass ich aufgrund meines Beschäftigungsgrades während mindestens 15 Monaten gearbeitet haben müsse, um ein Anrecht auf die Lohnerhöhung zu haben (15 Monate zu 80 Prozent = 12 Monate zu 100 Prozent). Ist das korrekt?

Die Höhe des Lohnes kann durch ein Gesetz, einen Gesamtarbeitsvertrag oder durch den Einzelarbeitsvertrag festgelegt werden. Dasselbe gilt für die Bedingungen für eine Lohnerhöhung, die zudem nicht obligatorisch ist. Die Lohnerhöhung kann beispielsweise von der Anzahl Dienstjahre abhängen. In diesem Fall zielt diese darauf ab, die Treue oder die Erfahrung des Mitarbeiters zu belohnen.

Es stellt sich also tatsächlich die Frage, ob der Beschäftigungsgrad einen Einfluss auf den Anspruch auf eine Lohnerhöhung hat. Mehrere Lösungen kommen in Frage, je nach Ziel der Lohnerhöhung:

  1. Das Dienstjahr berechnet sich unabhängig vom Beschäftigungsgrad. Ein Angestellter mit einem Beschäftigungsgrad von 80 Prozent hat also Anspruch auf die Lohnerhöhung ab einer Beschäftigungsdauer von 12 Monaten.
  2. Das Dienstjahr berechnet sich in Abhängigkeit des Beschäftigungsgrads. Ein Angestellter mit einem Beschäftigungsgrad von
    80 Prozent wird also 15 Monate arbeiten müssen (15 Monate zu 80 Prozent = 12 Monate zu 100 Prozent), um Anspruch auf die Lohnerhöhung zu haben.
  3. Eine Kompromisslösung wäre, einen Schwellenwert zu definieren, ab welchem das Dienstjahr unabhängig vom Beschäftigungsgrad berechnet wird (und unter welchem das Dienstjahr in Abhängigkeit des Beschäftigungsgrads berechnet wird). Ein Arbeitgeber wird also beispielsweise diese Schwelle bei einem Beschäftigungsgrad von 50 Prozent festlegen. Um also Anspruch auf die Lohnerhöhung zu haben, muss ein Angestellter mit einem Beschäftigungsgrad von 40 Prozent während 17 Monaten arbeiten (17 Monate zu 40 Prozent = 12 Monate zu 100 Prozent), während der Angestellte mit einem Beschäftigungsgrad von 80 Prozent lediglich 12 Monate arbeiten muss.

Wie oben erwähnt, bestimmen die vertraglichen Dokumente, welche Variante zur Anwendung kommt. Es kommt aber vor, dass die Vertragsdokumente sich auf die Erwähnung einer jährlichen Lohnerhöhung beschränken, ohne dabei zu präzisieren, ob der Beschäftigungsgrad einen Einfluss auf die Verbuchung der Dienstjahre hat. Hier muss man sich also fragen, welches Ziel die Lohnerhöhung verfolgt. Wenn es dem Arbeitgeber nur darum geht, seinen Mitarbeiter an sich zu binden, wird er sein Dienstalter belohnen. In diesem Fall wird die Erhöhung unabhängig vom Beschäftigungsgrad erfolgen. Will der Arbeitgeber jedoch ausschliesslich die Erfahrung belohnen, wird er die effektive erbrachte Arbeitsleistung dafür berücksichtigen. Da wird er also die Lohnerhöhung in Abhängigkeit des Beschäftigungsgrades gewähren. Mit der oben vorgestellten Kompromisslösung können beide Komponenten berücksichtigt werden.

Da der Beschäftigungsgrad bereits die Höhe des Lohnes beeinflusst, sollte seine Berücksichtigung bei der Berechnung der Dienstjahre nur möglich sein, wenn diese ausdrücklich vorgesehen ist oder die vertraglichen Dokumente klar festhalten, dass die Lohnerhöhung zum Ziel hat, die Erfahrung, also die effektive erbrachte Arbeitsleistung, zu belohnen.

Joël Vuilleumier, Jurist vsao-Sektion Neuenburg, «vsao Journal» 6/2020

Zwei Mitglieder erkundigen sich, ob sie ihr Arbeitszeugnis berichtigen lassen können. Das eine Mitglied möchte, dass die krankheitsbedingten, längeren Abwesenheiten aufgrund eines Burnouts im Zeugnis keine Erwähnung finden. Das andere Mitglied hingegen wünscht, dass eine akutsomatische Krankheit, welche im Verlauf des Arbeitsverhältnisses gar einen medizinischen Eingriff notwendig machte, und sich auch auf die Leistungs-fähigkeit ausgewirkt hatte, explizit im Arbeitszeugnis erwähnt werde. 

Das Gesetz äussert sich zu den Formulierungen in einem Arbeitszeugnis nicht, was immer wieder für Unsicherheiten bei den Arbeit-gebern führt. Die Grundsätze sind allein durch die Rechtsprechung entwickelt worden. Das Arbeitszeugnis soll wahr und wohlwollend sein – obwohl entgegen der allgemein herrschenden Praxis die Wahrheit eigentlich Vorrang hätte. So auch die Erwähnung einer Krankheit, welche nach Lehre und Rechtsprechung aber nur in einem Arbeitszeugnis Eingang finden darf, wenn

  • sie erheblichen Einfluss auf die Leistung oder das Verhalten der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters hatte;
  • sie die Eignung für die Erfüllung der bisherigen Aufgaben infrage stellte und damit einen sachlichen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses darstellte;
  • die Krankheit im Verhältnis zur gesamten Vertragsdauer erheblich ins Gewicht fiel, so dass ohne Erwähnung ein falscher Eindruck bezüglich der erworbenen Berufserfahrung entstünde.

In der Praxis ist der Entscheid nicht immer klar. Massgebend ist immer die Betrachtung der gesamten Umstände des Einzelfalls, so auch bei den beiden Anfragen.

Im ersten Fall – Burnout – fehlte der Mitarbeiter von 36 Monaten Anstellung insgesamt 12 Monate wegen Krankheit und 3 Monate wegen Freistellung, was die Rechtsprechung betreffend Krankheitsdauer im Verhältnis zur Anstellungsdauer noch nicht als erheblich erachtet. Da sich der Mitarbeiter selber rechtzeitig als krank wahrnahm und in Behandlung begab, hatte seine Krankheit weder Einfluss auf seine Leistung noch auf sein Verhalten. Da seitens Arbeitgeber auch nicht aufgrund der Krankheit gekündigt wurde, sondern schliesslich eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses auf Initiative des Mitarbeiters vereinbart wurde, ist die Erwähnung der längeren krankheitsbedingten Absenzen im Arbeitszeugnis unzulässig, weshalb der Mitarbeiter seinen Anspruch auf Berichtigung erfolgreich geltend machen kann.

Im zweiten Fall – akutsomatische Krankheit – kam es während der zweijährigen Anstellungsdauer zu einem medizinischen Eingriff. Die Krankheit hatte nachweislich Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterin. Allerdings entsprachen die Leistungen auch nach dem Eingriff nicht den Erwartungen des Arbeitgebers, weshalb die mangelhaften Leistungen nicht nur mit der akutsomatischen, zwischenzeitlich behobenen Krankheit begründet werden konnten, und schliesslich zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führten. Der Arbeitgeber hat korrekterweise die Krankheit im Arbeitszeugnis nicht erwähnt. Das Mitglied war aber der Ansicht, dass diese erwähnt werden soll, da die Krankheit massgeblich zu ihrer verminderten Leistungsfähigkeit beigetragen habe und damit die Kündigung des Arbeitgebers seitens Mitarbeiterin gerechtfertigt werden könne.

Wenn die Mitarbeiterin die Erwähnung der Krankheit explizit wünscht, dann wird es deswegen keinen Rechtsstreit geben, sondern der Arbeitgeber wird das Arbeitszeugnis diskussionslos und wunschgemäss berichtigen. Da aber die Nichteignung für die Stelle schliesslich zur Kündigung führte, d.h. die Leistungen generell mangelhaft waren, wird durch die Erwähnung der Krankheit die Gesamtbeurteilung im Arbeitszeugnis nicht besser. Es besteht sogar eine grosse Wahrscheinlichkeit, aufgrund der Erwähnung der Krankheit im Arbeits-zeugnis gar nicht erst an ein Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Krankheit wird von vielen Personalverantwortlichen und Vorgesetzten mit Risiko und potenziellem Ausfall verbunden, und Kandidaten mit offengelegten Krankheiten landen meist ohne Vorstellungschance auf dem Absagestapel. Eine Kündigung kann hingegen in jedem Lebenslauf einmal vorkommen, wenn z. B. die «Chemie» zwischen Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterin und Vorgesetzter bzw. Vorgesetztem nicht gepasst hat. Wenn im Dossier sonst gute Arbeitszeugnisse liegen, bleibt man auch trotz einer Kündigung meist im Rennen.

Ist man mit dem Inhalt eines Arbeitszeugnisses unzufrieden und entspricht es nicht den Tatsachen und den bisherigen Beurteilungen, so kann gerichtlich eine Abänderung verlangt werden. Die Verjährungsfrist für den Zeugnisanspruch beträgt 10 Jahre und läuft ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Allerdings sollte immer erst aussergerichtlich eine Berichtigung beim Arbeitgeber verlangt werden, und zwar am besten indem man einen eigenen Vorschlag unterbreitet. Die meisten Zeugnisberichtigungen lassen sich nämlich ohne die Gerichte lösen. Sind Sie unsicher oder brauchen Unterstützung bei der Formulierung, so helfen wir Ihnen gern.

Susanne Hasse, Sektionsjuristin vsao-Sektion Zürich/Schaffhausen, «vsao Journal» 4/2020

Mir wurde gekündigt und ich wurde anlässlich dieser Kündigung von meinem Arbeitgeber freigestellt. Kann dieser anordnen, dass ich meine Ferien sowie meine Überstunden- und Überzeitguthaben während der Freistellungszeit kompensieren muss?

Um allfällige begriffliche Unklarheiten aus dem Weg zu räumen, muss zunächst der Unterschied zwischen Überstunden und Überzeit geklärt werden. Als Überstunden werden diejenigen Stunden bezeichnet, die über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus geleistet werden. Als Überzeit hingegen gelten Stunden, welche die gesetzliche Höchstarbeitszeit gemäss Arbeitsgesetz übersteigen. Für Assistenzärztinnen und -ärzte sind dies 50 Stunden pro Woche. Für Oberärztinnen und -ärzte gilt im Prinzip dasselbe, ausser der entsprechende öffentlich-rechtliche Arbeitgeber unterliegt ausnahmsweise nicht dem Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes [1].

Was die Abgeltung von Ferien betrifft, besteht grundsätzlich ein Verbot, Ferien durch Geldleistungen zu ersetzen. Dieses Verbot wirkt über das bestehende Arbeitsverhältnis hinaus und gilt somit auch nach dessen Beendigung. Doch es gibt – wie fast immer im Recht – einige Ausnahmen. So ist in der Regel massgebend, in welchem Verhältnis die Freistellungsdauer zum Ferienanspruch steht und wie die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer die Zeit seiner Freistellung nutzte. Generell gilt, dass je länger die Freistellung dauert, umso mehr Ferien als bezogen betrachtet werden können. 

Diese Ausnahme hängt mit dem Umstand zusammen, dass die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer einige Zeit aufwenden muss, um sich eine neue Stelle zu suchen. Manche Gerichte gehen im Sinne einer Faustregel davon aus, dass ein Drittel der Freistellungstage als Ferienbezug angerechnet werden kann, wobei immer die konkreten Umstände des Einzelfalls beachtet werden müssen. Was uns zur zweiten Ausnahme führ: Wenn die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer die gesamte Freistellungsdauer für die Stellensuche verwenden musste und so keine Möglichkeit hatte, in die Ferien zu fahren, um sich zu erholen, muss er sich nicht die gesamten Ferien anrechnen lassen. Umgekehrt ergibt sich also, dass Arbeitnehmende, die während der Freistellung tatsächlich Ferien beziehen, sich die ganze Dauer als Ferienbezug anrechnen lassen müssen und nicht nur die kürzere Dauer gemäss der obgenannten Faustregel.

Zu der Kompensation von Überstunden während der Freistellungszeit ist Folgendes anzumerken. Von Gesetzes wegen (Artikel 321c Absatz 2 OR, Obligationenrecht) ist eine Kompensation von Überstunden durch Freizeit nur im Einverständnis mit die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer möglich. Absatz 3 von Artikel 321c OR schreibt sodann vor, dass wenn die Überstundenarbeit nicht durch Freizeit ausgeglichen wird und nichts anderes schriftlich vereinbart oder durch Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist, der Arbeitgeber für die Überstundenarbeit Lohn zu entrichten hat. Dieser bemisst sich nach dem Normallohn mit einem Zuschlag von mindestens 25 Prozent. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann eine Kompensation der Überstunden durch Freizeit auch während der Freistellung nur mit dem Einverständnis die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer erfolgen. Der Arbeitgeber kann somit die Kompensation von Überstunden während der Freistellungszeit nicht einseitig anordnen.

Neben der Diskussion betreffend die Kompensation von Überstunden bietet es sich an, sich die Rechtslage zur Kompensation der Überzeit vor Augen zu führen. Für die Überzeit einschlägig ist  Artikel 13 ArG (Arbeitsgesetz), in dessen Absatz 1 für die Überzeitarbeit – ähnlich wie bei den Überstunden – ein Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent vorgesehen ist. Absatz 2 von Artikel 13 ArG sieht vor, dass der Zuschlag von 25 Prozent nicht zu leisten sei, wenn die Überzeit innert eines angemessenen Zeitraums durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen wird. Wie bei den Überstunden ist auch bei der Überzeit das Einverständnis der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers für eine Kompensation erforderlich. Dies gilt in gleicher Weise bei einer Freistellung.

Um zeit-, nerven- und kostenraubenden Rechtsstreitigkeiten bestmöglich vorzubeugen, empfiehlt sich aus Arbeitnehmersicht, die Modalitäten der Kompensation von Überstunden, Überzeit und Ferienansprüchen in einer schriftlichen Freistellungsvereinbarung mit dem Arbeitgeber verbindlich zu regeln. Eine zusätzliche Sicherheit schafft Art. 341 Abs. 1 OR, welcher vorsieht, dass die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung auf Forderungen, die sich zwingend aus dem Gesetz oder einem GAV (Gesamtarbeitsvertrag) ergeben, nicht rechtsgültig verzichten kann. Vor der Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung empfiehlt es sich, selbige juristisch prüfen zu lassen, wobei Ihnen die Sektionsjuristen gerne zur Verfügung stehen.

Samuel Nadig, Sektionsjurist und Geschäftsführer vsao-Sektion Graubünden, «vsao Journal» 1/2020

[1] Seit geraumer Zeit gilt das Arbeitsgesetz für Assistenzärztinnen und -ärzte, unabhängig davon, ob der Betrieb als Ganzes dem Arbeitsgesetz unterstellt ist oder nicht. Für Oberärztinnen und -ärzte, gelten die Arbeits- und Ruhezeitvorschriften des Arbeitgebers nur, sofern der Betrieb dem Arbeitsgesetz untersteht. Dies ist in der Regel dann nicht der Fall, wenn er direkt zur kantonalen Verwaltung gehört.

 

Ich wurde für die befristete Dauer von einem Jahr als Oberärztin angestellt. Im Anschluss wurde mein Arbeitsvertrag um drei Jahre verlängert, bis Ende Juni 2020. Heute bin ich mit den Arbeitsbedingungen nicht mehr zufrieden. Auch aus privaten Gründen (Ortswechsel) möchte ich diese Stelle per 30. September 2019 verlassen. Bei der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages habe ich damals nicht beachtet, dass dieser keine Kündigungsfrist vorsieht. Wie muss ich vorgehen?

Der Vertrag, den Sie unterschrieben haben, ist ein befristeter Arbeitsvertrag, gültig bis 30. Juni 2020. Dies bedeutet, dass der Vertrag nach Ablauf der vereinbarten Dauer endet. Eine Kündigung ist also nicht notwendig (siehe Art. 334 Abs. 1 OR). Er endet automatisch nach Ablauf.

Was von den Parteien bei der Anstellung häufig nicht beachtet wird, ist dass der Vertrag vor dessen Ablauf von keiner Partei gekündigt werden kann, ausgenommen der Vertrag sieht es ausdrücklich vor. Es kommen einzig die ausserordentlichen Kündigungsgründe zur Anwendung (fristlose Auflösung aus wichtigen Gründen). Sie können also den Vertrag nicht kündigen. Einzig eine im gegenseitigen Einvernehmen abgeschlossene Auflösungsvereinbarung kann den Vertrag vorzeitig beenden.

In Ihrem Fall müssen Sie also mit Ihrem Arbeitgeber Kontakt aufnehmen, um ihn über Ihre Absicht zu informieren und seine Zustimmung einzuholen. Rechtlich ist Ihr Arbeitgeber nicht gezwungen, Ihrem Ansinnen zuzustimmen. Daher können auch langwierige Verhandlungen nötig sein. Es empfiehlt sich also, die Sache rechtzeitig anzugehen.

Gewisse befristete Verträge beinhalten eine Klausel für eine vorzeitige Auflösung. Diese muss aber ausdrücklich im Vertrag festgehalten sein und die anwendbaren Kündigungsfristen festlegen. Es handelt sich um sogenannte Arbeitsverträge mit einer Maximaldauer. Manchmal ist eine Kündigung nur während des ersten Jahres möglich und anschliessend nicht mehr. Es ist folglich wichtig, den Inhalt Ihres Vertrags und der anwendbaren Firmenreglemente oder Gesetzesbestimmungen genau zu analysieren (z. B. Gesetz über das Staatspersonal).

Es gilt noch ein weiterer negativer Aspekt der befristeten Arbeitsverträge zu beachten: Die Bestimmungen gegen eine Kündigung zur Unzeit kommen nicht zur Anwendung. Der Arbeitsvertrag endet somit auch im Falle einer Arbeitsunfähigkeit oder Schwangerschaft, was sich besonders für die Frauen als diskriminierend erweisen kann.

In der Praxis werden befristete Anstellungen häufig mit dem Vorwand der Weiterbildung gerechtfertigt. Die negativen Konsequenzen daraus werden oftmals vernachlässigt. Vergessen Sie nicht, dass die Flexibilität, die sich aus einem befristeten Arbeitsvertrag mit Kündigungsmöglichkeit ergibt, sich in der Regel als für den Arbeitgeber vorteilhaft erweist.

Véronique Aeby und Pierre Mauron, Rechtsanwälte vsao-Sektion Freiburg, «vsao Journal» 3/2019

 

Ich bin zur Zeit mit einem befristeten Vertrag (vom 1. November 2017 bis 31. Oktober 2019) angestellt. Nun habe ich einen neue Anstellung in einem anderen Spital gefunden, die am 1. November 2018 beginnen würde. Darf ich dieses Angebot annehmen?

Grundsätzlich endet ein befristeter Arbeitsvertrag ohne Kündigung nach Ablauf der vereinbarten Dauer. Es ist im Prinzip nicht möglich, diesen vorzeitig aufzulösen, ausser es sei im Vertrag so vorgesehen oder die Auflösung erfolgt im gegenseitigen Einverständnis der beiden Parteien.

Mein jetziger Vertrag beinhaltet keine Klausel für eine vorzeitige Auflösung, und mein Arbeitgeber will mich nicht vorzeitig aus dem Vertrag entlassen.

In ausserordentlichen Fällen kann der Vertrag aus wichtigen Gründen fristlos aufgelöst werden. Solche Gründe sind beispielsweise Arbeitsbedingungen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verunmöglichen (Persönlichkeitsverletzung oder Nichtbezahlung des Lohnes).

Eine berufliche Neuorientierung oder eine neue Ausbildung sind keine wichtigen Gründe.

Meine Arbeitsbedingungen sind zwar schwierig, aber gesetzeskonform. Mein Lohn wurde immer rechtzeitig bezahlt.

Unter diesen Umständen ist eine vorzeitige Auflösung Ihres Vertrages nicht möglich.

Und wenn ich beschliesse, meine Stelle trotzdem per 31. Oktober 2018 zu verlassen?

Falls Sie trotzdem beschliessen, die Arbeitsstelle einseitig vor Ablauf des Vertrages zu verlassen, ohne dabei wichtige Gründe geltend machen zu können, sind Sie für den Schaden, der Ihr Arbeitgeber aufgrund Ihres abrupten Abgangs erlittenen hat, ersatzpflichtig.

Wie hoch kann dieser Schaden sein?

In der Praxis und gemäss Gesetz (Art. 337d OR) kann Ihr Arbeitgeber Ihnen einen Viertel des letzten Monatslohnes abziehen.

Wenn der effektive Schaden grösser als diese Pauschalsumme ist, hat er Anspruch auf Ersatz weiteren Schadens. Er wird aber seinen Schaden belegen und einen Prozess gegen Sie anstrengen müssen (in der Regel innert 30 Tagen nach Ihrem Ausscheiden). Wenn Sie hingegen der Meinung sind, dass der Schaden tiefer ist als die Pauschalsumme, die zurückbehalten wurde, werden Sie den Betrag, den Ihr Arbeitgeber zurückbehalten hat, einklagen müssen.

Der Schaden entspricht den Kosten, die Ihr Arbeitgeber aufgrund Ihres Abgangs zu tragen hatte. Die Insertionskosten für die Suche nach einem neuen Mitarbeiter sind nicht Teil dieser Kosten, da Ihr Arbeitgeber diese so oder so hätte tragen müssen. Hingegen könnten Ihnen die Mehrkosten für zu 125 Prozent bezahlte Überstunden, die Ihre Kollegen aufgrund Ihres Abgangs leisten müssen, belastet werden.

Je früher Sie Ihren Arbeitgeber also informieren, desto eher wird dieser die nötigen Schritte unternehmen können, um seinen Schaden zu minimieren (das heisst einen Nachfolger für Sie finden, um den reibungslosen Betrieb aufrechterhalten zu können).

Joël Vuilleumier, Jurist vsao-Sektion Neuenburg, «vsao Journal» 3/2018

 

Wann ist ein Arbeitszeugnis wohlwollend, klar und wahr?

Ein Arzt erhielt nach dreieinhalbjähriger Tätigkeit in einer Praxis ein Schlusszeugnis mit der folgenden Formulierung: «Leider ist es im Verlauf der Anstellung zu Behandlungsfehlern gekommen.» Ihm wurde unter anderem aufgrund dieser Vorwürfe gekündigt. Ein Jahr vorher erhielt er noch ein sehr gutes Zwischenzeugnis. Die Vorwürfe wurden nicht konkretisiert und der Arbeitnehmer streitet ab, dass es zu Behandlungsfehlern gekommen ist.

Gestützt auf Artikel 330a Absatz 1 OR haben alle Arbeitnehmer Anspruch auf ein Zeugnis, welches über die Art und die Dauer des Arbeitsverhältnisses und über die Leistungen und das Verhalten Auskunft erteilt. Inhaltlich muss ein Zeugnis folgende Elemente aufweisen:

  • Personalien Arbeitnehmer,
  • notwendige Angaben, damit der Aussteller eindeutig individualisiert werden kann und dessen rechtsgültige Unterschrift samt Ausstellungsdatum,
  • Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses, detaillierte Auflistung der wichtigen Funktionen und der das Arbeitsverhältnis prägenden Tätigkeiten und deren Zeitdauer und
  • aussagekräftige Bewertung der Arbeitsleistung und des Verhaltens.

Ein Zeugnis sollte entsprechend den folgenden Grundsätzen formuliert werden:

  • Vollständigkeit,
  • Wahrheitspflicht,
  • Verhältnismässigkeitsprinzip,
  • Treu und Glauben und
  • Wohlwollen.

Ein Zeugnis soll das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers fördern, einem zukünftigen Arbeitgeber aber gleichzeitig ein wahrheitsgetreues Bild vermitteln. Diese Anforderungen können zu Diskussionen und einem Interessenkonflikt führen. Diese Konstellation ist in diesem Fall eingetreten. Die Arbeitgeberin beharrt auf die Erwähnung der Behandlungsfehler, welcher der Arbeitnehmer abstreitet. Auch wenn die Behandlungsfehler tatsächlich auftraten, bin ich der Meinung, dass sie im Sinne eines wohlwollenden Zeugnisses nicht erwähnt werden dürfen, ausser sie seien äusserst gravierender Natur. Das Zeugnis soll einen fairen Überblick über das gesamte Arbeitsverhältnis vermitteln und nicht nur auf den oftmals missgestimmten Abschluss abstützen. Auf Dankesworte und Zukunftswünsche hat man übrigens keinen Anspruch.

Zum Nebenschauplatz wurde in diesem Fall der Rückruf des vorher ausgestellten Zwischenzeugnisses. Die Arbeitgeberin stellte sich im Verlauf des Verfahrens auf den Standpunkt, dass nach dem Ausstellen des sehr guten Zwischenzeugnisses nachträglich Fehler aufgedeckt worden seien, die sich vor dem Ausstellen des Zwischenzeugnisses zugetragen hätten. Sie forderte in der Folge die Rückgabe des Zwischenzeugnisses. Bei einem Arbeitszeugnis handelt es sich um eine Urkunde, welche meines Erachtens nicht zurückgerufen werden kann. Die Arbeitgeberin stellte sie bedingungsfrei aus und hätte den Inhalt vorher sorgfältig(er) abklären müssen.

Die gerichtliche Beurteilung des Falles ist noch ausstehend. Grundsätzlich empfiehlt es sich, das Arbeitszeugnis vor Unterzeichnung sorgfältig durchzusehen und sich im Zweifelsfall rechtlich beraten zu lassen.

Janine Junker, Rechtsanwältin, Geschäftsführerin vsao-Sektion Bern, «vsao Journal» 4/2018

Ich arbeite als Assistenzärztin in einem Spital. Nun habe ich gehört, dass die Verjährungsfrist für Personenschäden per 1. Januar 2020  verlängert worden ist.
Hat diese Änderung Auswirkungen auf meine tägliche Arbeit?

Grundsätzlich betrifft die neue Verjährungsfrist sämtliche Ärztinnen und Ärzte, ob angestellt oder selbständig praktizierend, ob Assistenzärztin oder Chefarzt. Wenn bei einer Behandlung ein Schaden entsteht, kann eine Zivilklage gegen den behandelnden Arzt geführt werden. Entsprechend müssen die Krankengeschichten aufbewahrt werden. Neu nun eben 20 und nicht mehr wie bisher 10 Jahre lang.

Als angestellte Ärztin können Sie im Prinzip davon ausgehen, dass die Aufbewahrung der Krankengeschichte und die Überprüfung der Frist durch den Arbeitgeber sichergestellt werden. Wichtig ist, dass sich alle behandelnden Ärzte bewusst sind, dass die Krankengeschichte im Fall eines Prozesses von grosser Wichtigkeit ist. Daher ist sie stets sorgfältig nachzuführen. Die Behandlung muss daraus nachvollziehbar sein.

Privat versus öffentlich-rechtlich

Für das privatrechtliche Behandlungsverhältnis verlängert sich aufgrund der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Änderungen die absolute Verjährungsfrist bei allen Körperschäden und Todesfällen von 10 auf 20 Jahre. Die öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnisse richten sich weiterhin nach kantonalem öffentlichem Recht. Die Kantone können zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob sie die kantonal geregelten Aufbewahrungsfristen für die Krankengeschichten auf 20 Jahre erhöhen werden [1]. Demnach wird empfohlen, die Krankengeschichten ungeachtet der kantonalen Bestimmungen während 20 Jahren aufzubewahren.

Für Ärztinnen und Ärzte hat die neue Verjährungsfrist bei Zivilklagen Folgen praktischer Art: Sollten sie haftbar gemacht werden, stellt die Krankengeschichte ein massgebliches Beweismittel dar. Mit ihrer Hilfe lassen sich alle Behandlungsphasen rekonstruieren und man kann feststellen, ob der Patient termingerecht seine Zustimmung gegeben hat sowie ausreichend aufgeklärt wurde. Damit diese Beweisgegenstände bei einem allfälligen Gerichtsverfahren vorgelegt werden können, müssen sie für die gesamte Verjährungsdauer aufbewahrt werden.

Nachdeckung durch die Haftpflichtversicherung

Eine weitere praktische Bedeutung hat die Verlängerung der Verjährungsfrist im Zusammenhang mit der Nachdeckung aus der Haftpflichtversicherung. Heute beträgt die Nachdeckung in der Regel 10 Jahre. In Zukunft muss eine Nachdeckung von 20 Jahren gewährleistet werden, was eine Änderung der Police verlangt.

Übergangsfristen

Sofern das neue Recht eine längere Frist vorsieht als das bisherige, so gilt das neue – allerdings nur, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens, d. h. am 1. Januar 2020, die Verjährung nach dem alten Recht noch nicht eingetreten ist. Es ändert sich aber nur die Dauer, nicht jedoch der Zeitpunkt, in welchem die Frist zu laufen begonnen hat. Wenn das neue Recht eine kürzere Frist bestimmt, so gilt das bisherige Recht weiter. Sind also beispielsweise bei einer Forderung aus unerlaubter Handlung wegen Körperverletzung die 10 Jahre der absoluten Verjährungsfrist am 1. Januar 2020 noch nicht abgelaufen, so verlängert sich diese auf 20 Jahre, wobei die Dauer, die schon verstrichen ist, an diese 20 Jahre angerechnet wird.

Herausgabe der Krankengeschichte – Rechte und Einschränkungen

In Zusammenhang mit den neuen Verjährungsfristen stellt sich auch die Frage der Einsicht in die Krankengeschichte. Vorab muss betont werden, dass das Auskunftsrecht des Patienten hinsichtlich der Einsicht in die ihn betreffende ärztliche Behandlungsdokumentation und das Recht auf Herausgabe dieser Unterlagen in Kopie rechtlich zwingend sind. Dennoch gibt es grundsätzlich zwei Einschränkungen:

Die erste Einschränkung betrifft die Bekanntgabe von Gesundheitsdaten an Dritte sowie die persönlichen Notizen. Dieser «subjektive» Teil der Krankengeschichte betrifft die «Hinweise oder Gedächtnisstützen», die einzig für die Ärztin/den Arzt gedacht sind und keine Auswirkungen auf die Diagnose, Therapie oder Behandlung haben (Dominique MANAÏ, L’acces au dossier médical, im Journal: Cahiers genevois et romands de sécurité sociale Nr. 28/2002, S. 74 ff.; Tomas POLEDNA/Brigitte BERGER, Öffentliches Gesundheitsrecht, Bern 2002, S. 136).

Die zweite Einschränkung bezieht sich auf die sogenannten therapeutischen Kontraindikationen («für den Fall, dass Informationen, auf die ein Patient empfindlich reagieren könnte, gravierende Auswirkungen auf dessen psychophysischen Zustand haben oder das Behandlungsergebnis beeinträchtigen könnten, sollten diese einer nahestehenden Person mitgeteilt werden» (Art. 6 Abs. 1, Legge sulla promozione della salute e il coordinamento sanitario Ticino del 18 aprile 1989).

Lorenza Pedrazzini Ghisla, Juristin vsao-Sektion Tessin, «vsao Journal» 2/2020

[1] Ursina Pally Hofmann, Neues Verjährungsrecht, «Schweizerische Ärztezeitung», S. 1826.

 

Meldepflicht gefährdet das Arztgeheimnis

Mit der jüngsten Revision des Gesundheitsgesetzes des Kantons Tessin werden die Gesundheitsfachpersonen dazu verpflichtet, Straftaten ihrer Patienten zu melden. Dies hat eine hitzige Debatte im Parlament ausgelöst. Eine Meldepflicht wird aktuell schweizweit diskutiert, so beispielsweise im Zusammenhang mit dem Selbstmordpiloten der Germanwings-Maschine oder mit der Tötung einer Sozialtherapeutin in Genf, und wirft schwierige und komplexe Fragen auf. Denn es gilt, zwei gegensätzliche Interessen gegeneinander abzuwägen: zum einen das Interesse an der Aufklärung von Straftaten, zum anderen die Wahrung der Schweigepflicht, die das Fundament der therapeutischen Beziehung bildet. Konkret geht es darum, ob die gerichtliche Feststellung einer Straftat oder der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient Vorrang hat. Im letzteren Fall soll verhindert werden, dass der Patient, ob Opfer oder Täter, eine Behandlung, z. B. bei einem Psychiater, aus Angst davor abbricht, dass der eigene Arzt Anzeige erstattet.

Die Tessiner Ärztekammer hat sich wiederholt gegen eine strenge Durchsetzung der Meldepflicht für dem Berufsgeheimnis unterstehende Berufsgruppen wie Ärzten, Zahnärzten, Chiropraktikern, Apothekern, Hebammen und Psychologen ausgesprochen, und dies durchaus zurecht. Auch der Bundesrat spricht sich in seiner Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Kindesschutz, 15.033 vom 15. April 2015 (BBl 2015 3431)) dafür aus, die der Schweigepflicht unterliegenden Personen von der Meldepflicht auszuschliessen. «Eine Meldepflicht kann kontraproduktiv sein, weil eine Meldung in diesen Fällen gerade die Vertrauensbeziehung zum betroffenen Kind oder zu Dritten unnötig gefährden oder zerstören könnte und daher nicht dem Wohl des Kindes dient. Eine Meldung soll nur dann erfolgen, wenn die Geheimnisträgerin oder der Geheimnisträger nach Abwägung der zu wahrenden Interessen zum Schluss kommt, dass sie dem Wohl des Kindes dient.»

Das Tessiner Parlament hat sich hingegen weiterhin für die Repression entschieden und die Pflicht für Gesundheitspersonen bestätigt, den Strafverfolgungsbehörden sinngemäss «jeden bei der Berufsausübung zur Kenntnis gelangten Fall von Krankheit, Verletzung oder Tod zu melden, dessen sichere oder vermutete Ursache eine Straftat ist» (Art. 68 Abs. 2). Damit hebt die Tessiner Lösung das Berufsgeheimnis de facto auf und verpflichtet den Arzt, eine Tat unverzüglich zur Anzeige zu bringen. Die Möglichkeit, die Lage und die Interessen aller Beteiligten zu beurteilen, fällt weg. Die Frage ist folglich legitim, ob die Tessiner Meldepflicht nicht gegen Bundesrecht verstösst, welches das Berufsgeheimnis auf verschiedenen Ebenen schützt: Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1 der Bundesverfassung); Berufspflichten von Personen mit universitären Medizinalberufen (Art. 40f MedBG); Berufspflichten von Personen in Gesundheitsberufen (Art. 16f GesBG); Strafbarkeit der Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321 Ziffer 1 StGB).

Juristisch ist das Thema nicht unumstritten. So hat das Bundesgericht in seinem Urteil 1B_96/2013 die Frage, ob die Kantone die Ärzte dazu verpflichten können, den Strafverfolgungsbehörden Verdachtsfälle auf Straftaten zu melden, offengelassen.

Lorenza Pedrazzini Ghisla, Juristin vsao-Sektion Tessin, «vsao Journal» 2/2018

Eine Privatklinik stellt einen Assistenzarzt an, damit dieser die Weiterbildung zur Erlangung des Schwerpunkts für Ophthalmochirurgie absolvieren kann. Sein Arbeitsvertrag hält fest, dass sich die mutmasslichen Kosten für diese Weiterbildung für die Privatklinik auf CHF 500’000 belaufen. Aufgrund dieser Kosten beinhaltet der Arbeitsvertrag eine Klausel, die besagt, dass der Arzt verpflichtet ist, nach Erlangung des Schwerpunkts weiterhin für eine Dauer von vier Jahren für die Privatklinik zu 100 Prozent als Facharzt zu arbeiten. Der Arbeitsvertrag beinhaltet zudem eine Klausel, wonach der Arzt verpflichtet ist, die Kosten dieser Weiterbildung in der Höhe von CHF 300’000 zurückzuerstatten, falls er die Weiterbildung unterbricht oder den Schwerpunkt nicht erlangt. Im Falle einer vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Rücktritts oder einer fristlosen Kündigung aus wichtigen Gründen sieht der Arbeitsvertrag eine Rückzahlungspflicht der Weiterbildungskosten in der Höhe von CHF 300’000 im ersten Jahr, von CHF 225’000 im zweiten Jahr, von CHF 150’000 im dritten Jahr und von CHF 75’000 im vierten Jahr vor. Ist eine solche Klausel zulässig? Kann der Arzt, falls er nach Erlangung des Schwerpunkts für Ophthalmochirurgie keine vier Jahre in dieser Privatklinik weiterarbeiten will, seinen Vertrag kündigen, ohne die Summe von CHF 300’000 zurückerstatten zu müssen?

Das Gesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer alle durch die Ausführung der Arbeit notwendig entstehenden Auslagen zu ersetzen hat. Es präzisiert, dass Abreden, wonach der Arbeitnehmer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise selbst zu tragen habe, nichtig sind (Art. 327a Abs. 3 OR).

Allgemein hat der Arbeitnehmer die Kosten für eine Ausbildung, die nicht in Zusammenhang mit einem bestimmten Arbeitgeber oder einem bestimmten Produkt steht, selber zu tragen. Als solche gelten Kosten für Ausbildungen, die dem Arbeitnehmer einen dauerhaften Vorteil auf dem Arbeitsmarkt verschaffen (z. B. die Kosten einer universitären Weiterbildung im Ausland zur Erlangung eines Weiterbildungstitels). Wenn der Arbeitgeber die Kosten einer solchen Weiterbildung übernimmt, die grundsätzlich vom Arbeitnehmer zu berappen sind, kann er mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung abschliessen, in welcher sich Letzterer verpflichtet, ihm im Falle eines Rücktritts vor Ablauf einer bestimmten Frist die Kosten ganz oder teilweise zurückzuerstatten.

Im vorliegenden Fall ist die Sachlage anders, da die Privatklinik, den Assistenzarzt beschäftigt und dessen Weiterbildung sicherstellt. Sie verlangt aber nicht die Rückerstattung von effektiven Kosten, die sie dem Assistenzarzt zwecks Finanzierung einer Weiterbildung ausserhalb des Spitals mit Nutzen für dessen berufliche Zukunft vorgeschossen hat. Die Klinik fordert die Rückerstattung der mutmasslichen Kosten, die für sie durch diese Weiterbildung in ihren Räumlichkeiten entstehen.

Wenn eine Klinik einen Assistenzarzt zum Zweck der Weiterbildung anstellt, sind die Betreuung und Weiterbildung Teil der Pflichten des Arbeitgebers, wie in einem Lehrvertrag. Entsprechend muss der Chefarzt oder der für die Weiterbildung verantwortliche Arzt Gewähr für die Einhaltung des vorgeschriebenen Weiterbildungsprogramms bieten. Die Investition des Arbeitgebers in die Weiterbildung wird zudem bereits bei der Festsetzung eines gegenüber einem Facharzt tieferen Lohns berücksichtigt. Daher können die Kosten, die der Arbeitgeber aufgrund dieser internen Weiterbildung vermutet, nicht mit den effektiv von einem Dritten in Rechnung gestellten Kosten für eine Weiterbildung des Arbeitnehmers ausserhalb der Unternehmung gleichgesetzt werden.

Aufgrund der Fakten und auch wenn diese Frage bis heute noch nie vom Bundesgericht beurteilt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die im Arbeitsvertrag vorgesehene Rückzahlungsverpflichtung für angebliche interne Weiterbildungskosten rechtswidrig ist. Falls der Arzt also nach Erlangung seines Schwerpunkts unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist seine Kündigung einreicht, kann der Arbeitgeber meiner Meinung nach die Zahlung der gemäss Vertrag vorgesehenen CHF 300’000 nicht einfordern.

Christian Bruchez, Jurist vsao-Sektion Genf, «vsao Journal» 5/2018

Eine Assistentenvertreterin eines Zürcher Spitals will vom VSAO ZÜRICH wissen, ob Ärztinnen und Ärzte streiken dürfen. Seit gefühlter Ewigkeit seien sie notorisch unterbesetzt, weshalb die gesetzlichen Arbeitszeiten nicht eingehalten werden könnten. Es zeichne sich einfach kein Wandel ab, und nun hätten sie langsam die Nase voll.

Das Streikrecht ist ein unter bestimmten Voraussetzungen in der Bundesverfassung garantiertes Grundrecht (Art. 28 BV). Der Streik ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die «kollektive Verweigerung der geschuldeten Arbeitsleistung zum Zwecke der Durchsetzung der Forderung nach bestimmten Arbeitsbedingungen gegenüber einem oder mehreren Arbeitgebern». Ein Streik zur Durchsetzung politischer Ziele, z.B. die Änderung des Arbeitsgesetzes, wäre unzulässig. Weiter verweist der Verfassungsartikel auch darauf, dass die Pflicht zur Wahrung des Arbeitsfriedens oder zur Durchführung von Schlichtungsverhandlungen vorgehen muss. Insbesondere trifft dies dann zu, wenn ein Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen wurde, weshalb die Friedenspflicht nach Art. 357a OR zu wahren ist (GAV für Assistenzärztinnen und -ärzte, welcher im Kanton ZH noch für die vier kantonalen Spitäler gilt), oder die Parteien vereinbart haben, ein Schlichtungsverfahren durchzuführen.

Der Streik als Kampfmassnahme (wie der Zürcher Bleistiftstreik 1998) ist somit nur als letztes Mittel, als Ultima Ratio, erlaubt, wenn sich der Arbeitgeber Verhandlungen verschliesst oder diese zu keinem Ergebnis führen. Denn bei Streik droht dem Arbeitgeber wirtschaftliche Schädigung.

Gemäss Bundesverfassung kann bestimmten Personenkategorien per Gesetz der Streik ganz verboten werden. So erwähnt das Bundespersonalgesetz die Möglichkeit, zur Wahrung der Staatssicherheit, von wichtigen Interessen in auswärtigen Angelegenheiten oder zur Sicherstellung der Landesversorgung das Streikrecht zu beschränken oder aufzuheben. Das Personalgesetz des Kantons Zürich sowie die Personalrechtverordnung der Stadt Zürich äussern sich hingegen nicht zum Streikrecht. In Zürich ist man aber der Ansicht, dass, gestützt auf die in den Personalgesetzen verankerte Treuepflicht, für gewisse Personalkategorien der Streik verboten bzw. beschränkt werden darf, etwa der unbedingt notwendigen Spitalversorgung.

Mit anderen Worten: Sofern der Notfalldienst in einem Spital sichergestellt ist und die Assistenzärzte nicht der Friedenspflicht des GAV unterstellt sind, dürften sie kollektiv organisiert für ihre Forderung nach rechtmässigen Arbeitsbedingungen streiken. Dies aber erst, wenn mit dem Arbeitgeber Verhandlungen aufgenommen wurden und diese zu keinen Ergebnissen führten. Da sich für solche Verhandlungen Assistenzärzte aus Karrieregründen meist nicht exponieren wollen, ist hierfür der VSAO ZÜRICH einzuschalten. Dieser übernimmt die Vertretung der Arbeitnehmer in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und schaltet, falls nötig, das Arbeitsinspektorat des Kantons Zürich ein. In diesem Zusammenhang ist es als möglichst rasche Massnahme sicher auch sinnvoll, die Dienstplanungsabläufe mit Hilfe der Dienstplanberatung des vsao-Dachverbands zu analysieren und zu schauen, wie die Planung mit dem bestehenden Personal wenigstens optimiert werden kann.

Susanne Hasse, Rechtsanwältin SHlegal, Geschäftsführerin vsao-Sektion Zürich, «vsao Journal» 6/2018

Ein Ehepaar mit zwei Kindern arbeitet im Spital X. Beide Ehegatten sind als Oberärzte angestellt. Die Kinder werden in einer Kindertagesstätte betreut, die allerdings in den Sommerferien jeweils während zwei Wochen geschlossen hat. Der Ehemann hat deshalb bereits drei Monate vor den Sommerferien eine Woche Ferien eingegeben, um sich während der Zeit der geschlossenen Krippe der Kinderbetreuung zu widmen. Die Ehefrau hat einen Ferienwunsch für die zweite Woche beantragt. Beide Elternteile haben dabei auf die fehlende Kinderbetreuung hingewiesen. Doch dem Ehemann wurde der Ferienwunsch nicht gewährt, sondern er wurde just in dieser Woche zum Dienst eingeteilt. Ist dies rechtens?

Das Arbeitsgesetz sieht für Arbeitnehmende mit Familienpflichten grundsätzlich gewisse Sonderprivilegien vor. So hat der Arbeitgeber gemäss Art. 36 des Arbeitsgesetzes (ArG) bei der Festsetzung der Arbeits- und Ruhezeit auf Arbeitnehmer mit Familienpflichten besonders Rücksicht zu nehmen. Als Familienpflicht gilt einerseits die Erziehung von Kindern bis 15 Jahre und andererseits die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger oder nahestehender Personen. Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber hat für regelmässige bzw. planbare Arbeitseinsätze zu sorgen, wobei die Rücksichtnahme allerdings nur soweit geht, wie es die betrieblichen Verhältnisse zulassen.

Im vorliegenden Fall darf der berechtigte Ferienwunsch folglich nur dann verweigert werden, wenn der Arbeitgeber sachlich begründen kann, wonach es betrieblich unmöglich sei, dem Ehemann in besagter Woche frei zu geben. Vor dem Hintergrund, dass der Ferienwunsch Monate im Voraus deponiert und vom Arbeitnehmer zudem einleuchtend argumentiert wurde, weshalb er Ferien brauche, scheint die Ablehnung nicht plausibel zu sein, zumal alle Arbeitnehmenden Anspruch auf Ferien haben.

Gemäss Art. 36 ArG darf ein Arbeitnehmer im Übrigen auch die Leistung von Überzeit (mehr als 50 Stunden pro Woche) verweigern, wenn er dadurch seine Familienpflichten vernachlässigen würde. Überstundenarbeit hingegen muss er leisten, sofern sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden kann.

Das Gesetz sieht sogar vor, dass ein Arbeitnehmer mit Familienpflichten eine Mittagspause von anderthalb Stunden verlangen kann, um zu Hause für die Familie zu kochen. Allerdings ist das ein Szenario, das in einem Spitalbetrieb eher weniger ein Thema sein wird, zumal diese Mittagspause unbezahlt wäre.

Claudia von Wartburg, Juristin vsao-Sektion beider Basel, «vsao Journal» 2/2019

 

Im Herbst 2017 habe ich eine 100-Prozent-Stelle als Assistenzärztin in einem Spital angetreten. Anfang Januar 2018 wurde ich Mutter und bezog einen 16-wöchigen Mutterschaftsurlaub gemäss Gesamtarbeitsvertrag. Bereits vor der Niederkunft vereinbarte ich mit meinem Arbeitgeber, dass ich mein Arbeitspensum nach Beendigung meines Mutterschaftsurlaubs auf 60 Prozent reduzieren werde. Bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs belief sich mein Ferienguthaben auf insgesamt drei Wochen. Diese Ferien entstammen noch dem 100-Prozent-Pensum. Mein Arbeitgeber hat mir mitgeteilt, dass diese drei Wochen im 60-Prozent-Pensum auch als drei Wochen gewertet werden. Dies führt aber dazu, dass mein Ferienlohn entsprechend reduziert wird. Ist das Vorgehen meines Arbeitgebers korrekt?

Um die Frage beantworten zu können, muss zuerst abgeklärt werden, ob es sich um ein öffentlich-rechtliches oder privatrechtliches Anstellungsverhältnis handelt.

Ist die Arbeitnehmerin öffentlich-rechtlich angestellt, so muss geprüft werden, ob sich im kantonalen Personalrecht eine Regelung findet, welche die Frage beantwortet, wie vor einer Änderung des Arbeitspensums erworbene Ferien, die erst nach der entsprechenden Anpassung des Arbeitsvertrages bezogen werden, abzugelten sind.

Ist nichts geregelt, so kann auf die von der Eidgenössischen Personalrekurskommission entwickelte Praxis verwiesen werden: Grundsätzlich bleibt ein Ferienanspruch auch dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer im Verlaufe eines Kalenderjahres den Beschäftigungsgrad ändert. Dies ist soweit nicht zu beanstanden, jedoch ist zu beachten, dass das Recht auf Ferien nicht nur das Recht auf Erholung, sondern auch auf Entlohnung umfasst. Drei Wochen Ferien in einer Vollzeitanstellung werden stets zu 100 Prozent entlohnt. Wird nun das Pensum auf 60 Prozent reduziert, so bleibt zwar das vorbestehende Ferienguthaben gleich hoch (3 Wochen Ferien sind auch im 60-Prozent-Pensum 3 Wochen Ferien), jedoch werden die Ferien dann nur noch zu 60 Prozent abgegolten. Die finanzielle Einbusse beträgt damit 40 Prozent. Um diese Ungleichbehandlung zu vermeiden, muss in einem solchen Fall ein finanzieller Ausgleich vollzogen werden: Ein Arbeitnehmer, der aus objektiven Gründen oder wegen dienstlicher Verpflichtungen sein Ferienguthaben vor der Änderung des Beschäftigungsgrades nicht beziehen konnte, hat somit Anspruch auf eine Ausgleichszahlung im Umfang der verlorenen Differenz.

Entsprechendes gilt mangels einschlägiger gesetzlicher Grundlage auch im Privatrecht. Nach herrschender Lehre wäre in solchen Konstellationen eine faire Regelung, dass im Falle einer Pensenreduktion auch bei späterem Bezug aufgelaufener Ferien der Lohn entsprechend dem früheren Pensum bezahlt würde. Im umgekehrten Fall einer Erhöhung des Pensums müsste toleriert werden, dass der Arbeitnehmer beim Bezug der Ferienansprüche nach dem früheren Pensum lediglich den früheren, tieferen Lohn erhält.

Der Arbeitgeber sollte der betroffenen Person raten, den pro-rata-temporis-Ferienanspruch des höheren Pensums vor der Vertragsänderung zu beziehen. Soweit der Arbeitnehmer aus betrieblichen oder anderen objektiven Gründen dazu nicht in der Lage ist, hat der Arbeitgeber bei einem positiven Feriensaldo eine entsprechende Ausgleichszahlung vorzunehmen. Ein solcher objektiver Grund, welcher die Ausgleichszahlung erforderlich macht, stellt gemäss Gerichtspraxis auch die fehlende Aufforderung des Arbeitgebers dar, das verbleibende Ferienguthaben vor der Pensenänderung zu beziehen.

Das Vorgehen des Arbeitgebers im vorliegenden Fall ist nicht korrekt. Der Arbeitgeber hätte die Assistenzärztin dazu anhalten sollen, die angefallenen Ferien vor der Pensenänderung zu beziehen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich gewesen, so hätte eine entsprechende Ausgleichszahlung erfolgen müssen. Die Assistenzärztin kann somit einen Anspruch auf Ausgleichszahlung geltend machen.

Praxistipp bei Änderung Ihres Arbeitspensums: Achten Sie darauf, dass Sie Ihr angehäuftes Ferienguthaben nach dem Mutterschaftsurlaub beziehen und erst danach die Pensenänderung vollziehen. Sollte dies nicht möglich sein, sollten Sie die Auszahlung der Differenz ausdrücklich mit Ihrem Arbeitgeber regeln.

Sandra P. Leemann, Juristin vsao-Sektionen Aargau, Solothurn, St. Gallen/Appenzell, Thurgau und Zentralschweiz, «vsao Journal» 1/2019

Der GAV, dem ich unterstehe, sieht für die Geburt eines Kindes einen Geburtsurlaub von fünf Tagen mit voller Lohnzahlung vor. Wird dieser Geburtsurlaub zum kürzlich auf Bundesebene eingeführten Vaterschaftsurlaub von zehn Tagen hinzugezählt?

Bei dieser Frage geht es um das Zusammenspiel von zwei Urlaubsarten:

  1. Den Urlaub des Vaters für die Geburt eines Kindes und
  2. den «Vaterschaftsurlaub», der am 1. Januar 2021 auf Bundesebene eingeführt wurde. 

Vor dem 1. Januar 2021 sahen die Gesamtarbeitsverträge für Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte fast alle einen Geburtsurlaub von einigen Tagen vor, der in der Regel zu 100 Prozent bezahlt wurde. Es handelte sich um einen Urlaub, den der Arbeitgeber anbietet, so wie er auch bei der Hochzeit eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin in der Regel einige Tage zu 100 Prozent bezahlt. Der Urlaub für die Geburt eines Kindes wird in der Regel in einem GAV-Artikel mit dem Titel «Besondere Urlaube» oder «Andere Urlaube» aufgeführt. Er gehört zu den Leistungen, die ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern durch Vereinbarung anbietet und mit denen er den Angestellten einen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber gewährt (Privatrecht).

Seit dem 1. Januar 2021 sieht das Bundesrecht einen Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen für den Arbeitnehmer vor, sofern dieser zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes dessen rechtlicher Vater ist oder dies innerhalb der folgenden sechs Monate wird (Art. 329g Abs. 1 OR). Der Urlaub kann wochen- oder tageweise bezogen werden (Wochenende eingeschlossen), innert sechs Monaten nach der Geburt des Kindes. Wie beim Mutterschaftsurlaub wird das Wochenende auch entschädigt. Der Vater hat damit Anrecht auf 14 Taggelder (zwei Wochen), die 80 Prozent des Lohnes entsprechen. Der Lohn ist auf CHF 7350.– pro Monat plafoniert, was ein maximales Taggeld von CHF 196.– pro Tag ergibt (CHF 7350.– × 0,8 ÷ 30 Tage = CHF 196.– pro Tag). Der Urlaub entspricht maximal CHF 2744.– (14 Taggelder × CHF 196.– pro Tag) und wird über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanziert, sprich hauptsächlich über die Beiträge der Angestellten, Arbeitgeber und Selbständigen. Der Vater hat also einen Anspruch gegenüber dem Staat (öffentliches Recht).

Wie sieht es nun mit dem Zusammenspiel dieser beiden Ansprüche auf «Vaterschaftsurlaub» aus? Wie können die neuen bundesrechtlichen Bestimmungen und die bestehenden Bestimmungen im GAV in Einklang gebracht werden? Die Antwort ist umstritten. Einige Autoren sind der Meinung, dass die neuen Bestimmungen zum «Vaterschaftsurlaub» die Anwendung anderer Bestimmungen verunmöglichen, da der «Vaterschaftsurlaub» grosszügiger ausgestaltet ist. Andere wiederum sind der Ansicht, dass die beiden Rechte nebeneinander bestehen können, da sie unterschiedlicher Natur sind: Der Arbeitnehmer hat gegenüber seinem Arbeitgeber einen (durch den GAV begründeten) Anspruch sowie (einen gemäss Art. 329g OR begründeten) Anspruch gegenüber dem Staat. Wenn man diese zweite Meinung berücksichtigt, könnte der Arbeitnehmer die beiden Urlaubsarten kumulieren. Dieser Ansatz könnte aber womöglich vom Arbeitgeber abgelehnt werden. Schliesslich könnte man in einer dritten Interpretation sagen, dass der Arbeitgeber, der einen zu 100 Prozent bezahlten Geburtsurlaub von fünf Tagen gewährt, im Anschluss die Taggelder zu 100 statt zu 80 Prozent aus dem Vaterschaftsurlaub während fünf Tagen bezahlen muss. Diese Lösung scheint gerecht zu sein, da das im GAV verankerte Recht, fünf Tage zu 100 Prozent bezahlt zu werden, eingehalten werden würde.

Die Frage bleibt aber offen.
Falls ein Spital den Urlaub, den der Vater bei der Geburt eines Kindes bei voller Lohnzahlung während fünf Tagen erhält, zu Gunsten eines ausschliesslichen und neuen «Vaterschaftsurlaubs» streichen will, muss es den GAV mit den unterzeichnenden Verbänden neu verhandeln. Falls der GAV noch nicht neu verhandelt wurde, können Sie versuchen, von Ihrem Arbeitgeber zu verlangen, dass der Vaterschaftsurlaub während der Dauer des im GAV vorgesehenen fünftägigen Urlaubs zu 100 Prozent bezahlt wird (und nicht zu 80 Prozent mit einer Obergrenze). Dies wäre eine gerechte und vertretbare Lösung.

Dr. Valentine Gétaz Kunz, Juristin der vsao-Sektion Wallis, «vsao Journal» 1/2022

 

2021 treten verschiedene gesetzliche Änderungen in Kraft, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben verbessern. Um was geht es genau?

Lange Zeit wollte der Schweizer Gesetzgeber Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht regeln, da er sie als Teil der Privat-sphäre ansah. In dieser Hinsicht war die 2005 eingeführte Mutterschaftsversicherung bisher der einzig bedeutende gesetzgeberische Fortschritt. Auch in zahlreichen Gesamtarbeitsverträgen wurden viele Fortschritte erzielt.

In jüngster Zeit wurde der gesetzgeberische Prozess durch Volksinitiativen und parlamentarische Initiativen beschleunigt. So trat nach der Volksabstimmung vom 27. September 2020 am 1. Januar 2021 ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub in Kraft. Zudem wurde auch das Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung am 20. Dezember 2019 gutgeheissen. Damit wird ab 1. Januar 2021 ein Urlaub für die Betreuung von Angehörigen eingeführt. Anschliessend, am 1. Juli 2021, folgt der Urlaub für die Betreuung eines wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindes.

Schliesslich haben die eidgenössischen Räte am 18. Dezember 2020 die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs und der entsprechen-den Versicherungsleistungen bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen beschlossen. Das Datum der Inkraftsetzung dieser Bestimmung wurde noch nicht festgelegt.

Alle Einzelheiten zu gesetzlichen Neuerungen finden sie hier.

Christian Bruchez, Rechtswanwalt vsao-Sektion Genf, «vsao Journal» 1/2021

Wieso kann in der Schwangerschaft keine Überzeit geltend gemacht werden, wenn über die 45 Stunden pro Woche gearbeitet wird?

Der Arbeitgeber hat schwangere Frauen so zu beschäftigen und ihre Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass ihre Gesundheit und diejenige des Kindes nicht beeinträchtigt werden (Art. 35 Abs. 1 ArG). Schwangere dürfen nicht über die vereinbarte ordentliche Dauer der täglichen Arbeit hinaus beschäftigt werden. Liegt die vereinbarte ordentliche Dauer der täglichen Arbeit über neun Stunden, so ist diese auf maximal neun Stunden zu begrenzen (Art. 60 Abs. 1 ArGV 1).

Schlechte Arbeitsbedingungen wirken sich über die Mutter auch auf das Kind aus und können sein Wohlbefinden und seine Gesundheit beeinträchtigen. Die vorgenannte Gesundheitsschutz-bestimmung dient daher nicht nur der Schwangeren, sondern in erster Linie dem Schutz des ungeborenen Kindes. Sie sollte daher von allen Seiten respektiert werden, nicht nur seitens Arbeitgeber und Arbeitskolleginnen und -kollegen, sondern insbesondere auch von den Schwangeren selbst, die ihre Rechte im Sinne des Wohls des Ungeborenen bedingungslos einfordern sollen. Die ärztliche Beistandspflicht gegenüber den Patienten ist in diesem Fall kein übergeordnetes Interesse. Gerade im Spitalumfeld kann dies problemlos durch Arbeitskolleginnen und -kollegen aufgefangen werden. Im Übrigen entsteht die meiste Überzeit nicht aufgrund der Dienstleistung an den Patientinnen, sondern aufgrund von administrativer Arbeit, die in jedem Fall warten oder delegiert werden kann.

Der Gesetzgeber hat eine Maximalbelastungsgrenze festgehalten. Mehr als neun Stunden pro Tag darf nicht gearbeitet werden, weniger wäre somit generell wünschenswert und ist daher immer zulässig. Es kann daher in der Schwangerschaft auch keine Minuszeit generiert werden, die sich die Schwangere anlasten muss (während oder nach dem Mutterschutz). Leider gilt in vielen Spitälern immer noch die vereinbarte Sollarbeitszeit von 50 Stunden, welche gleichzeitig die arbeitsgesetzliche, wöchentliche Höchstarbeitszeit darstellt, in der Regel verteilt auf fünf Tage. Daher sind die Dienstzeiten der Schwangeren anzupassen und auf neun Stunden zu reduzieren. Auch in Ausnahmesituationen dürfen keine Zusatzarbeiten verlangt werden, die über diese neun Stunden hinausgehen. Auch die Verteilung auf mehr als fünf Tage wäre unzulässig.

Wie steht es nun damit, wenn der Arbeitgeber keine Zusatzarbeiten – Überzeiten – verlangt, oder nur indirekt, und/oder die Schwangere einfach ein schlechtes Gewissen hat, nach neun Stunden alles stehen und liegen zu lassen, und die Zusatzarbeiten trotzdem verrichtet? Kann sie diese Zeit in den folgenden Tagen kompensieren? Einen gesetzlichen Kompensationsanspruch darauf hat sie nicht. Auch der Lohn wurde grundsätzlich für 50 Stunden pro Woche vereinbart, und nicht für die 45 Stunden, welche der Gesetzgeber zum Schutz der Schwangeren als maximale Arbeitszeit vorschreibt.

Entsprechend kann in der Schwangerschaft bei einem 100-Prozent-Arbeitspensum weder Minus- noch Überzeit generiert werden. Anders kann es jedoch bei einem Teilzeitpensum aussehen, z. B. bei einem 50-Prozent-Arbeitspensum verteilt auf fünf Tage, da auch dort lediglich die tägliche Höchstarbeitszeit von neun Stunden zu beachten ist, die gar nie erreicht wird. Entsprechend braucht es auch keine Anpassung des Dienstplanes, und die Arbeitszeiten können wie immer dokumentiert werden. In diesem Beispiel hat dies zwar eine Ungleichbehandlung der Vollzeit und Teilzeit tätigen Schwangeren zur Folge, dies ist aber vertretbar, da die gesetzliche Bestimmung der täglichen Maximalarbeitszeit in erster Linie zum Schutz des Ungeborenen erlassen wurde.

Fortschrittliche Arbeitgeber haben die Problematik rund um die Planung an der Höchstarbeitsgrenze von 50 Stunden erkannt, und die Probleme, auch diejenige mit den schwangeren Mitarbeiterinnen, konnten am einfachsten mit einer verminderten Sollarbeitszeit für alle Mitarbeitenden gelöst werden. Einige Arbeitgeber, die die 50 Stunden zwar noch kennen, sind immerhin dazu übergegangen, eine separate Zeiterfassung von Schwangeren zu etablieren. Im Idealfall werden die Zeitsaldi bei Bekanntgabe der Schwangerschaft «eingefroren» und nach dem Mutterschaftsurlaub wieder fortgeführt. In der Zwischenzeit gilt die Höchstarbeitszeit von 45 Stunden pro Woche bzw. maximal neun Stunden pro Tag. Die Schwangeren werden durch Vorgesetzte gar angehalten, die vorgeschriebene Maximaldauer pro Tag absolut einzuhalten und – falls es die betrieblichen Bedürfnisse zulassen – eher Minuszeiten zu generieren, welche in der Folge keine Relevanz haben und ersatzlos gestrichen werden. Sollte es im betrieblichen Notfall doch einmal zur Überschreitung der maximal zulässigen neun Stunden kommen, was häufig gar nicht erst erfasst werden kann, dann soll die Schwangere in den darauffolgenden Tagen auch einmal grundlos etwas früher gehen dürfen bzw. Mut zur Minuszeit aufbringen.

Wichtig ist aber auch, dass der Arbeitsinhalt der Schwangeren auf das reduzierte Pensum angepasst wird, genauso wie mittels Risikobeurteilung allenfalls beschwerliche und gefährliche Arbeiten zu eliminieren sind (Art. 35 Abs. 2 ArG).

Susanne Hasse, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin der vsao-Sektion Zürich, «vsao Journal» 4/2022

 

Ich bin Assistenzärztin und habe einen Arbeitsvertrag bei meiner künftigen Arbeitgeberin unterzeichnet. Einen Monat vor Stellenantritt informierte ich diese von meiner Schwangerschaft. Sie trat daraufhin vom Vertrag zurück mit der Begründung, die vertraglich vorgesehene Beschäftigung sei infolge Schwangerschaft nicht möglich. Der Einsatz als Assistenzärztin sei anstrengend, und es müssten infolge von Personalknappheit längere Nachtschichten geleistet werden. Darf meine Arbeitgeberin in diesem Fall einfach vom Vertrag zurücktreten? Und wenn nein, wie habe ich vorzugehen?1

Die Gleichstellung von Frau und Mann ist ein in der Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 3 BV) garantiertes Grundrecht. Diese Gleichstellung der Geschlechter reifte in den letzten Jahrzenten zu einer vieldiskutierten und enorm wichtigen politischen Diskussion heran. In Bezug auf das Erwerbsleben sollte eine effektive Chancengleichheit ermöglicht werden. Ein Resultat dieser politischen Debatten bildet das am 1. Juli 1996 in Kraft getretene Gleichstellungsgesetz (GlG, SR 151.1), mit welchem die berufliche Schlechterstellung im Erwerbsleben aufgrund des Geschlechts verhindert werden soll. Nach dessen Art. 1 bezweckt das Gleichstellungsgesetz die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann. Diese Gleichstellung ist in diversen Bereichen des (Berufs-)Alltags bedauerlicherweise nach wie vor reines Wunschdenken, was beispielsweise die vielerorts noch vorherrschende Lohndiskrepanz zeigt. Dieser soll dadurch begegnet werden, dass Arbeitgebende ab 100 Mitarbeitenden ab dem 1. Juli 2020 verpflichtet sind, innerhalb eines Jahres eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen, diese von einer unabhängigen Stelle überprüfen zu lassen und die Mitarbeitenden über das Ergebnis zu informieren. Damit soll der verfassungsrechtliche Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit durchgesetzt werden. Im Zentrum des GlG steht gemäss Art. 16 Abs. 1 die Gleichstellung der Geschlechter «in allen Lebensbereichen» und der Einsatz für die «Beseitigung jeglicher Form direkter oder indirekter Diskriminierung». Das GlG gilt für alle Bereiche des Erwerbslebens, von der Anstellung über die Weiterbildung bis zur Kündigung, vom Lohn bis zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. 

Gemäss Art. 3 Abs. 1 GlG dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden, namentlich nicht unter Berufung auf den Zivilstand, auf die familiäre Situation oder – bei Arbeitnehmerinnen – auf eine Schwangerschaft. Dieses Diskriminierungsverbot gilt nach Abs. 2 desselben Artikels insbesondere für die Anstellung. Wer von einer solchen Diskriminierung betroffen ist, kann gemäss Art. 5 GlG bei der zuständigen, paritätisch zusammengesetzten, Schlichtungsbehörde eine Klage einreichen. In vorliegendem Fall handelt es sich um eine Kündigung vor Stellenantritt, wobei die Arbeitnehmerin gegen eine solche möglicherweise diskriminierende Kündigung Einsprache erheben und an die zuständige Schlichtungsbehörde gelangen kann. Es gilt von dieser sodann zu prüfen, ob der ausgesprochenen Kündigung eine Diskriminierung innewohnt.

Vorliegend ist nicht ersichtlich, weshalb die Arbeitnehmerin für die vereinbarte Tätigkeit ungeeignet sein sollte. Ferner hätte sie ihre Tätigkeit erlaubterweise bis zwei Monate vor der Niederkunft verrichten können. Bis zu diesem Tag ist Nachtarbeit für Schwangere nämlich ausdrücklich erlaubt (Art. 35a Abs. 4 Arbeitsgesetz, ArG). Anschliessend hätte die Arbeitnehmerin anderweitig bzw. am Tag eingesetzt werden können. Die Kündigung erfolgte demnach nur wegen der gemeldeten Schwangerschaft, was unter das Diskriminierungsverbot fällt. Die Arbeitgeberin kann keine sachlichen Gründe vorbringen, welche die Kündigung zu rechtfertigen vermögen. Vielmehr ist es der Arbeitgeberin möglich und zumutbar, die Personalknappheit zu beheben, sodass die maximal erlaubte Schichtdauer hätte eingehalten werden können.

Im vorliegenden Fall bestand ein direkter Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Schwangerschaft, weshalb die Arbeitgeberin aufgrund des Diskriminierungsverbots nach Art. 5 GlG zu einer Entschädigungszahlung von drei Monatslöhnen verpflichtet wurde. Die Arbeitgeberin darf demnach nicht ohne weiteres vom Vertrag zurücktreten. Mit einer Einsprache gegen die Kündigung und dem Gang zur Schlichtungsbehörde kann sich die Arbeitnehmerin erfolgreich zur Wehr setzen. Falls Sie von einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts betroffen sind, wenden Sie sich vertrauensvoll an die vsao-Sektionsjuristen und -juristinnen. Wir helfen Ihnen gerne weiter.

1 In Anlehnung an den Fall Schlichtungsbehörde nach Gleichstellungsgesetz des Kantons Zürich, Verfahren 20/2016 in: Entscheide nach Gleichstellungsgesetz, https://www.gleichstellungsgesetz.ch/d103-1778.html (besucht am: 26. August 2021).

Samuel Nadig, Jurist und Geschäftsführer der vsao-Sektion Graubünden, «vsao Journal» 6/2021

 

Gerne würde ich nach Ende meines Mutterschaftsurlaubes mein Kind weiter stillen. Welche Rechte kann ich als stillende Mutter geltend machen?

Rechte von stillenden Müttern, welche im Arbeitsgesetz und dessen Verordnungen enthalten sind: 

  • Eine stillende Mutter darf nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden. In den ersten acht Wochen nach der Niederkunft besteht für die Mutter ein absolutes Arbeitsverbot. Sie kann insgesamt 16 Wochen Mutterschaftsurlaub beziehen, davon sind indes nur 14 Wochen zwingend bezahlt. Bis zur 16. Woche nach der Geburt kann sie es auch ablehnen, nachts zu arbeiten (zwischen 20 Uhr und 6 Uhr). Ihr Arbeitgeber muss ihr eine gleichwertige Arbeit am Tag anbieten. Wenn er das nicht kann, darf die stillende Mutter zu Hause bleiben und erhält 80 Prozent ihres Lohns.
  • Die Arbeitgeber sind dafür verantwortlich, dass die Gesundheit ihrer Angestellten sowie des Neugeborenen nicht gefährdet wird. Die Arbeitsbedingungen dieser Mütter müssen von diesem Zeitpunkt an entsprechend angepasst werden.
  • Eine stillende Mutter darf keine gemäss Risikoanalyse gefährlichen oder beschwerlichen Arbeiten ausführen. Ihr muss eine gleichwertige ungefährliche Arbeit angeboten werden, und wenn das nicht möglich ist, hat sie das Recht, zu Hause zu bleiben und trotzdem ihren Lohn zu beziehen (80 Prozent ihres Lohns) (Art. 62, 64 ArGV1).
  • Eine stillende Mutter darf nicht mehr als neun Stunden pro Tag arbeiten, auch wenn in ihrem Arbeitsvertrag mehr Stunden vorgesehen sind (Art. 60 Abs. 1 ArGV1). Diese Kategorie von Arbeitnehmerinnen darf deshalb nicht für den Pikettdienst aufgeboten werden. Während dieser Zeit sollte die hinterlegte Sollarbeitszeit entsprechend angepasst werden.
  • Eine stillende Mutter hat das Recht, sich unter geeigneten Bedingungen hinzulegen und auszuruhen (ein Ruheraum muss im Unternehmen eingerichtet werden) (Art. 34 ArGV3).
  • Eine stillende Mutter darf nicht zur Schichtarbeit mit einem Schichtsystem, das eine regelmässige Rückwärtsrotation vorsieht (Nacht – Abend – Morgen) herangezogen werden oder mehr als drei Nächte am Stück arbeiten (Art. 14 Mutterschutzverordnung).

Entlöhnte Stillpausen:
Stillenden Müttern sind die für das Stillen oder für das Abpumpen von Milch erforderlichen Zeiten freizugeben. Davon wird im ersten Lebensjahr des Kindes (52 Wochen) als bezahlte Arbeitszeit angerechnet:

  • bei einer täglichen Arbeitszeit von bis zu 4 Stunden: mindestens 30 Minuten
  • bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 4 Stunden: mindestens 60 Minuten
  • bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 7 Stunden: mindestens 90 Minuten

Diese Zeiten können je nach den physiologischen Bedürfnissen des Kindes am Stück oder verteilt bezogen werden. Es handelt sich bei diesen Bestimmungen nur um Mindestzeiten, die an die bezahlte Arbeitszeit anzurechnen sind. Sollte das Kind aus physiologischen Gründen längere Stillzeiten benötigen, darf die stillende Mutter der Arbeit auch länger fernbleiben (siehe auch Artikel 35a ArG). Die benötigte Zeit, die über die festgelegten Minima hinausgeht, wird ohne anderslautende Abmachung zwischen dem Arbeitgebenden und der betroffenen Arbeitnehmerin nicht als bezahlte Arbeitszeit angerechnet. Eine solche Abmachung kann auch eine Reduktion der täglichen Arbeitszeit vorsehen.

Die Arbeitnehmerin verfügt unabhängig davon, ob sie im Betrieb stillt oder den Arbeitsplatz zum Stillen verlässt, über dieselbe bezahlte Stillzeit. Diese Bestimmung gilt auch für Frauen, die ihre Milch abpumpen.

Wichtig:
Solange Sie stillen, ist die max. Arbeitszeit auf 9 Stunden pro Tag zu beschränken, unabhängig davon, was vertraglich vereinbart worden ist, und die Leistung von Pikettdiensten ist nicht zulässig. Dies gilt jedoch nur für das erste Jahr nach der Geburt, somit insgesamt für 52 Wochen.

Sandra P. Leemann, Juristin der vsao-Sektionen Aargau, Solothurn, St. Gallen/Appenzell, Thurgau und Zentralschweiz, «vsao Journal» 4/2021

 

Ich habe vor kurzem ein Bewerbungsgespräch geführt. Dabei wurde ich gefragt, ob ich schwanger sei oder plane, in den nächsten Monaten eine Familie zu gründen. Sind diese Fragen zulässig?

Grundsätzlich darf ein Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsgesprächs Fragen stellen, die in direktem und objektivem Zusammenhang mit der zu erbringenden Arbeitsleistung stehen. Dies gilt jedoch nicht für Auskünfte, welche die Privatsphäre des Kandidaten oder der Kandidatin betreffen.

Es kann aber sein, dass der Arbeitgeber ein legitimes Interesse hat, sich über die Privatsphäre des Kandidaten oder der Kandidatin zu informieren, da diese sich direkt auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Ein solches Interesse kollidiert jedoch mit dem Recht der Kandidatin/des Kandidaten auf Schutz der Persönlichkeit, wie beispielsweise bei Fragen im Zusammenhang mit Gesundheitszustand, Schwangerschaft oder Vorstrafen. Dann muss also eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Erst wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeit von dieser Information abhängt – und nicht nur wegen allfälliger geringfügiger Schwierigkeiten – hat der Arbeitgeber das Recht, entsprechende Fragen zu stellen und die entsprechenden Konsequenzen aufgrund der erhaltenen Antwort zu ziehen.

Die oben erwähnte Bedingung gilt selbstverständlich auch für Fragen betreffend Schwangerschaft der Kandidatin, sei es über eine bestehende Schwangerschaft oder ihre Absicht, Kinder zu bekommen. Allgemein und insbesondere bei den Assistenz- und Oberärztinnen ist davon auszugehen, dass Fragen zur Schwangerschaft – ob aktuell oder geplant – eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung darstellen. Denn auch wenn die Schwangerschaft und anschliessende Mutterschaft sich auf das Arbeitsverhältnis auswirken (aufgrund der Schutzbestimmungen und der anschliessenden Abwesenheit während des Mutterschaftsurlaubs), wird die Ausübung der Tätigkeit selber nie unmöglich sein. Davon ausgenommen sind besondere Situationen, die übrigens jeden, sowohl Frauen als auch Männer, treffen können, wie etwa schwere Krankheiten, Unfall usw. 

Die einzigen Situationen, in welchen der Arbeitgeber das Recht hätte, Fragen in Zusammenhang mit der Schwangerschaft zu stellen, liegen ausserhalb des medizinischen Bereichs. Beispielsweise wenn es darum geht, eine Tänzerin für eine Show anzustellen, die einige Monate später stattfinden soll. Hier erscheint es logisch, dass eine allfällige Schwangerschaft dem potentiellen Arbeitgeber bekannt sein muss, da es darum geht, ob der Arbeitsvertrag insgesamt erfüllt werden kann oder nicht.

Wie soll eine Arbeitnehmerin reagieren, falls sie beim Bewerbungsgespräch trotzdem mit solchen Fragen konfrontiert wird? Es geht insbesondere darum, ob es ein Recht auf Lüge gibt, was von den Kommentatoren des Arbeitsrechts kontrovers diskutiert wird. Persönlich bin ich der Meinung, dass dieses Recht vollumfänglich besteht, da es eine Reaktion auf ein widerrechtliches Verhalten des Arbeitgebers ist. Wenn die Arbeitnehmerin wahrheitsgetreu auf die widerrechtlich gestellte Frage antwortet, wird sie nicht angestellt, was den Arbeitgeber in seiner diskriminierenden Haltung bestärken wird.

Dazu sei noch erwähnt, dass es gemäss Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann verboten ist, Arbeitnehmerinnen aufgrund ihres Geschlechts, namentlich unter Berufung auf eine Schwangerschaft, zu diskriminieren. Das Verbot gilt insbesondere auch für Anstellungen. Wenn also eine Arbeitnehmerin aufgrund ihrer Schwangerschaft nicht angestellt oder ihr während der Probezeit, in der sie nicht direkt geschützt ist, gekündigt wird, ist diese Kündigung missbräuchlich, da sie wegen des Bezugs zum Geschlecht diskriminierend ist. 

Nach der Probezeit ist die Arbeitnehmerin besser geschützt, weil eine Kündigung während der Schwangerschaft und der 16 Wochen nach der Geburt schlicht und einfach nichtig wäre. Trotzdem hat der Arbeitgeber zum gegebenen Zeitpunkt das Recht, über die Schwangerschaft seiner Angestellten informiert zu werden, da er dann entsprechende Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der betroffenen Frauen sowie bei der Organisation treffen muss. Es obliegt also der Arbeitnehmerin, ihren Arbeitgeber oder zukünftigen Arbeitgeber innert nützlicher Frist, also ungefähr im dritten Schwangerschaftsmonat, zu orientieren. Sollte vor Stellenantritt noch kein Vertrag vorliegen, empfiehlt es sich, eine Bestätigung der Anstellung zu verlangen.

Patrick Mangold, Sektionsjurist vsao-Sektion Waadt, «vsao Journal» 3/2020

 

Ich bin schwanger und arbeite zu 100 Prozent. Ich bin extrem müde, habe aber keine Schwangerschaftskomplikationen. Ich möchte einige Tage zu Hause bleiben, um mich zu erholen. Darf ich das? Werde ich während dieser Abwesenheit meinen Lohn erhalten?

Allgemein ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Gesundheit der Schwangeren und Mütter während der Mutterschaft zu schützen. Er muss die Arbeitsbedingungen entsprechend gestalten (Art. 35 des Arbeitsgesetzes, ArG). In diesem Zusammenhang sei der Wortlaut von Art. 35a ArG, der die Beschäftigung bei Mutterschaft regelt, zitiert:

  1. Schwangere und stillende Frauen dürfen nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden.
  2. Schwangere dürfen auf blosse Anzeige hin von der Arbeit fernbleiben oder die Arbeit verlassen. Stillenden Müttern ist die erforderliche Zeit zum Stillen freizugeben.
  3. Wöchnerinnen dürfen während acht Wochen nach der Niederkunft nicht und danach bis zur 16. Woche nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden.
  4. Schwangere Frauen dürfen ab der 8. Woche vor der Niederkunft zwischen 20 Uhr und 6 Uhr nicht beschäftigt werden.

Zusammenfassend können Sie also während der Schwangerschaft jederzeit der Arbeit fernbleiben oder die Arbeit verlassen, müssen aber Ihren Arbeitgeber unverzüglich informieren. Um Ihren Anspruch auf Lohn zu sichern, müssen Sie ein Arztzeugnis vorweisen. In der Regel muss ein Arztzeugnis ab dem dritten Tag der Abwesenheit vorgewiesen werden, wobei diese Regel variieren kann.

Valentine Gétaz Kunz, Anwältin vsao-Sektion Wallis, «vsao Journal» 4/2019

Ich arbeite als Assistenzärztin in einem kleineren Landspital. Wiederholt kommt es vor, dass ich den letzten Zug verpasse, wenn ich zum Spätdienst eingeteilt bin und die Schicht länger geht als geplant. Um nach Hause zu kommen, bleibt mir dann nichts anderes übrig, als ein teures Taxi zu nehmen. Muss ich diese Kosten tatsächlich selber übernehmen oder hat mir der Arbeitgeber diese zu ersetzen?

Muss in der Nacht gearbeitet werden, so verpflichtet Art. 17e ArG i. V. m. Art. 46 ArGV1 den Arbeitgeber, weitere Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer vorzusehen, namentlich im Hinblick auf die Sicherheit des Arbeitswegs, die Organisation des Transports, die Ruhegelegenheiten und Verpflegungsmöglichkeiten sowie die Kinderbetreuung.

Beim eingangs geschilderten Sachverhalt ist die Ärztin gezwungen, nach Ende des Nachtdienstes aufgrund des Fehlens eines öffentlichen Verkehrsmittels ein Taxi für die Heimfahrt zu nehmen. Steht kein öffentliches Verkehrsmittel mehr zur Verfügung, so hat der Arbeitgeber gemäss Art. 46 lit. b ArGV1 eine Transportmöglichkeit bereitzustellen. Eine mögliche Alternative zum öffentlichen Verkehrsmittel wäre, dass der Arbeitgeber den Betrieb eines Minibusses, einen Transportdienst unter der Arbeitnehmerschaft oder einen Taxidienst organisiert. Aus Art. 46 lit. a ArGV1 ergibt sich auch, dass die Transportmöglichkeit sicher sein muss.

Der Arbeitgeber hat aber nicht nur die Pflicht, eine Transportmöglichkeit bereitzustellen, sondern ist zusätzlich zur Übernahme der damit verbunden Mehrkosten verpflichtet. Da die Nachtarbeit vor allem für den Arbeitgeber von Vorteil ist, wäre es stossend, wenn die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen solche zusätzlichen Kosten übernehmen müssten. Nicht zulässig wäre, dass der Arbeitgeber auf Kosten der Arbeitnehmerschaft einen Taxiservice für den Heimweg organisiert. Der Arbeitgeber ist jedoch befugt, von diesen einen Beitrag an die Kosten für die Massnahmen, die wegen der Nachtarbeit ergriffen werden, zu verlangen. Hier sollte jedoch folgender Schlüssel als Richtlinie für die Aufteilung der Kosten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zur Anwendung gelangen: Die Wegkosten für Nachtarbeit sollten für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht höher ausfallen als diejenigen für die Arbeit, die sie während des Tages ausführen.

Fazit: Da der Arbeitgeber nach Art. 17e ArG i. V. m. Art. 46 lit.b ArGV1 verpflichtet ist, beim Fehlen eines öffentlichen Verkehrsmittels eine Transportmöglichkeit bereitzustellen, kann die Ärztin die Kosten für das Taxi, welche bei ihr zu Mehrkosten führen, von ihrem Arbeitgeber zurückverlangen.

Sandra P. Leemann, Juristin vsao-Sektionen Aargau, Solothurn, St. Gallen/Appenzell, Thurgau und Zentralschweiz, «vsao Journal» 6/2019